Eines hat die Rechtschreibreform den lernenden Kindern in jedem Fall gebracht: Eine neue Ausrede für ihre Rechtschreibfehler. Und - unbeabsichtigter Nebeneffekt - der Stellenwert der Rechtschreiberei für die schulische Deutschnote wird hoffentlich relativiert. Erfreulich sicherlich auch, wenn kritische Schüler den pädagogisch schulischen Nutzwert des Herumbastelns an der Sprache primär als Lehrbeispiel für den schulischen Zeitgeschichteunterricht sehen. Fortschritt als Selbstzweck.

Was ist nun wirklich für die Kinder von dem übrig geblieben, was die eigentliche Reformabsicht von Sprachwissenschaftlern und Ministerialbeamten in nahezu 20-jähriger Arbeit war, die deutsche Rechtschreibung vom Ballast überflüssiger, unlogischer und komplizierter Regeln zu befreien und für Kinder leichter erlernbar zu machen? Was ist geblieben vom Bestreben, Ausnahmen auszumisten, Regeln nachvollziehbarer zu machen, der Sprachlogik zu ihrem Recht zu verhelfen?

Erleichterung?

Vor allem, machen die Kinder jetzt wirklich weniger Fehler? Trägt die von manchen Pädagogen hochgelobte Reform auch nur ansatzweise dazu bei, den hohen Prozentsatz an sogenannten "Legasthenikern" in den Volksschulen (zehn bis 20 Prozent) zu senken? Hilft sie, die Zahl jener meist begabten, unglücklichen Kinder zu vermindern, die in unzähligen Stunden gewaltige Potenziale an Energie allein in die Rechtschreibung investieren, ohne jemals besonders erfolgreich zu sein. - Erleichtert diese "Reform" das Schicksal jener Kinder, die - nur weil sie ein paar Fehlerchen mehr machen als ihre Mitschüler - oft vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden?

Dazu liegen zwei konkrete Zahlen vor. Jene einer vom Unterrichtsministerium unterstützten Elterninitiative und jene des deutschen Rechtschreibexperten Arnd Stein. Die Elterninitiative hat in Medieninseraten behauptet, mit der neuen Rechtschreibung würden Hunderttausende Kinder um die Hälfte weniger Beistrichfehler machen, auch die übrigen Fehler seien um 13 Prozent zurückgegangen. Das ist ein erstaunlich hoher Prozentsatz, wenn man bedenkt, dass von den 12.000 Wörtern des schulischen Grundwortschatzes bescheidene 185 zwar verändert, deshalb aber noch längst nicht vereinfacht werden. Schließlich kann man davon ausgehen, dass durch die neue Rechtschreibung weniger als ein halbes Prozent des Textbildes geändert wird.

In krassem Gegensatz zu den ministeriellen Zahlen sind die Ergebnisse einer schulpraxisnahen Untersuchung von Arnd Stein. Zur Beurteilung der durch die Reform beabsichtigten Verbesserung der Rechtschreibleistung überprüfte er die Fehler rechtschreibschwacher Kinder in 390 Schuldiktaten der Klassen 3 bis 5. Die Auswertung der Fehler ergab ein denkwürdiges Ergebnis: Von den 29.000 Wörtern waren 3400 falsch geschrieben - und nur 25 dieser fehlerhaften Wörter sind von der Neuregelung betroffen. Dem entspricht eine, durch die neuen Regeln mögliche Leistungsverbesserung von lediglich 0,7 (!) Prozent.

Auf dem Hintergrund dieser Untersuchung und zahlreicher eigener Beobachtungen halte ich von der Behauptung von der großen Erleichterung für die Kinder nichts. Die neue Rechtschreibung ist im Wesentlichen die alte. Kinder, die Schwierigkeiten hatten, werden diese auch künftig haben. Die Rechtschreibreform ist eine Mogelpackung. Sie besticht durch das extreme Missverhältnis zwischen dem Einsatz von Mühe und Geld und ihrem (schul)lebenspraktischen Nulleffekt. Man sollte nicht versuchen, sie den Kindern als große Erleichterung anzudrehen.

Ich muss jenem Volksschüler recht geben, der mir neulich erklärte, sein Diktatheft sei auch nach der Reform noch immer ein "Katastrophenheft". Soll ich ihm entgegnen, was die Bildungssprecherin des Liberalen Forums in voreiligem Reformeifer prognostizierte: "Wesentliche Erleichterung beim Lernen und weniger rote Tinte in Diktatheften."?

Sicher nicht, denn er und viele betroffene Kinder haben davon noch nichts bemerkt. Ihnen geht es vermutlich ähnlich wie dem Universitäts-Germanisten Robert Saxer, der in einer wissenschaftlichen Publikation offen zugibt, dass ihn die Reform "verwirrt", weil man an manchen Stellen "in den Zustand der Verzweiflung" gerät . . .

Dr. Heinz Zangerle ist Kinderpsychologe und Psychotherapeut sowie Lehrbeauftragter für Legasthenie an der Pädagogischen Akademie Innsbruck.