Seit 1997 hat Ungarn ein duales TV-System, und bereits nach kurzem haben die Privatfernsehsender die Öffentlich-Rechtlichen überflügelt. Diese Erfolgsstory schilderte Karl Stipsicz, Geschäftsführer des größten ungarischen Privat-TV-Unternehmens TV2, am Mittwochabend bei einem Vortrag in Wien. Der frühere ORF-Mitarbeiter Stipsicz wusste aber auch von zahlreichen Eigenheiten und Bedingungen zu berichten, denen die ungarische TV-Szene unterworfen ist. Das staatliche ungarische Fernsehen steht laut Stipsicz trotz finanzieller Unterstützung aus der Staatskassa "vor der Zahlungsunfähigkeit" und bei einem Marktanteil von rund zehn Prozent. TV2 komme auf 42 Prozent; der Konkurrenzsender RTL Klub verzeichne einen Markanteil von 28 Prozent. TV2 steht im mehrheitlichen Besitz der Scandinavian Broadcasting System, weiters zählt auch der Münchner Filmhändler Herbert Kloiber zu den Gesellschaftern., der in Österreich an ATV beteiligt ist. "Die ganze öffentlich-rechtliche Last lastet auf den privaten Sendern", skizzierte Stipsicz die Situation seines Senders. Ein strenges Mediengesetz verpflichtet die kommerziellen TV-Betreiber mit entsprechenden Auflagen. So gebe es Programmquoten für ungarische und europäische Inhalte, Vorschriften für ein Mindestangebot an Nachrichtensendungen zur Prime-Time und verpflichtende Kultur- und Religionssendungen. Diese "wirklich ganz genauen Definitionen" seien aber gerechtfertigt, so Stipsicz. "Und ich meine, dass diese Sender zumindest einigermaßen widerspiegeln, was im Land vor sich geht." Zu den absoluten Quotenhits zählen in Ungarn übrigens die so genannten "Telenovelas", ein aus dem lateinamerikanischen Raum stammendes Sub-Genre der Soap-Opera. "Ich habe mich krummgelacht, als ich so etwas zum ersten Mal gesehen habe. Jetzt lache ich nicht mehr." Die beliebteste Telenovela kann sich täglich über eine Reichweite von 60 Prozent freuen. Stipsicz These zur Erklärung dieses Phänomens: In den Serien würden gewisse feudale Muster transportiert, die in "Ländern, in denen die Aufklärung nicht so funktioniert hat wie in Westeuropa" Anklang fänden. Werblichen Nutzen aus den guten Quoten können die ungarischen TV-Sender - öffentlich-rechtlich wie privat - nur bedingt ziehen. Denn auch die Werbeformen unterliegen strengen Beschränkungen. Erlaubt sind zwölf Minuten klar gekennzeichnete Werbung pro Stunde. Streng verboten sind dagegen Sponsorenlogos und Patronanzen oder andere Sonderwerbeformen. "Wenn ein Sportler kommt und eine Haube mit Firmenlogo aufhat, müssen wir das abdecken", so Stipsicz. Gleiches gelte für fiktionale Programme. "Zwei Leute in meiner Abteilung sind nur damit beschäftigt, nach versteckter Werbung zu suchen." In Österreich hingegen sei er "verblüfft, was im ORF passiert. Der besteht ja zu einem Großteil nur aus Werbung". Aber, so ein Nachsatz des früheren ORF-Korrespondenten: "Mein Sensorium ist da sicher sehr geschärft." Grundsätzlich sei Fernsehen das in Ungarn mit Abstand wichtigste Medium "mit einem riesigen Einfluss", so Stipsicz. Trotz hoher Reichweiten gerade in den ländlichen Gebieten müssten sich die relativ jungen TV-Sender aber mit einer nach wie vor bestehenden Kluft zwischen dem modernen, urbanen Ungarn und ländlichen Selbstbildern auseinander setzen. So werde etwa das Bild des "christlichen Ungarn", das so gar nicht mit den bombastischen Shopping Malls an der Budapester Peripherie zusammenpassen will, durchaus auch "politisch stark instrumentalisiert". Als weiteres Spannungsfeld nannte der TV-Macher den nach wie vor bestehenden "Hass gegen Zigeuner" auch bei aufgeklärten, liberalen Ungarn einerseits sowie eine mangelnde Bereitschaft der "Zigeuner" zur Assimilation. In Ungarn leben rund 800.000 Roma und Sinti. (APA)