Wien - Über teilweise "chaotische Zustände" klagen Österreichs Zivildiener nach der Gesetzesnovelle, die mit Jahresanfang in Kraft getreten ist. Die Pauschale und das Essensgeld würden oft zu spät ausgezahlt, die Zivildiener müssten Schulden machen. Die Zivildiener wollen das Gesetz jetzt beim Verfassungsgericht anfechten. Bis zum 31. Dezember 2000 habe der Bund den Zivildienern ihre Grundvergütung, also eine Art Gehalt, ausgezahlt. Seit Jahresbeginn sei das anders. Jetzt müsse die Institution, die den Zivildiener beschäftige, für die Bezahlung sorgen, und zwar am Monatsersten. Das funktioniere aber in vielen Fällen nicht, kritisieren Zivildiener-Vertreter. Manche Zahlungen blieben aus. Aber nicht nur bei der Vollziehung des Gesetzes gebe es Probleme, auch das Gesetz selbst weise eklatante Schwächen auf, klagte Rainer Sittenthaler, der amtierende Bundessprecher der Zivildiener. Als Beispiel nennt Sittenthaler die Höhe des Essensgeldes. "Die Einrichtung muss eine angemessene Verpflegung bereitstellen", zitiert Sittenthaler aus dem Gesetz. Der Gesetzgeber habe es jedoch unterlassen, das Wort "angemessen" näher zu definieren. Das führe dazu, dass es Tagesverpflegungssätze zwischen 43 und 170 Schilling gebe. Innenminister Ernst Strasser (V) erklärte gegenüber dem ORF, er höre diese Kritik zum ersten Mal, sei aber dankbar für jeden Hinweis. Der Minister betonte aber auch, es gebe Verträge, und es sei davon auszugehen, dass jeder Teil - das Ministerium, die Länder und die Zivildienstpflichtigen - ihre Vereinbarungen einhalten. Je nach Organisation gebe es unterschiedliche Essensregelungen, daher habe sich das nicht nur am Geld, sondern auch an anderen Leistungen zu orientieren. Die Kritik, dass die Zivildiener nicht davon leben könnten, erscheint ihm, Strasser, nicht nachvollziehbar. Denn im Gesetz sei klar festgelegt, dass für die Verpflegung die Zivildienstorganisation aufkommen müsse. SPÖ und Grüne mit scharfer Kritik Kritik am Umgang der Regierung mit Zivildienern übten am Donnerstag die Oppositionsparteien SPÖ und Grüne. SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl warf Innenminister Ernst Strasser (V) in einer Aussendung vor, keine Gelegenheit auszulassen, "den Zivildienern das Leben schwer zu machen". Grünen-Zivildienstsprecherin Theresia Haidlmayr wiederum kritisierte, "die Demontage des Zivildienstes durch die schwarz-blaue Regierung im vergangenen Jahr hat die gesamte Last auf dem Rücken der Zivildiener und der Trägerorganisationen abgeladen". Kuntzl erklärte, Strasser habe sich seiner Verantwortung entledigt, indem er die Entscheidungsvollmacht in Bezug auf Verpflegung und Pauschalvergütung den einzelnen Trägerorganisationen übertragen habe. Die Hürden, die jungen zivildienstwilligen Männern auferlegt würden, seien vielfältig. So befänden sich immer mehr junge Männer in Wartepositionen und würden damit in ihrer Lebensplanung massiv beeinträchtigt. Die Zahl der Personen, die keinen Aufschub hätten, also praktisch sofort den Zivildienst antreten könnten, sei im Jänner des Vorjahres bei 11.853 gelegen, im Jänner 2001 bei 14.464. Haidlmayr forderte Strasser auf, "ein Notprogramm und eine umfassende Reform des Zivildienstes unter Einbeziehung der Opposition unverzüglich dem Nationalrat vorzulegen". Jede Verzögerung würde dazu führen, dass das Sozialsystem in Österreich nicht mehr aufrecht zu halten sei. Behinderte, alte und kranke Menschen würden dadurch in ihrer Existenz gefährdet. Zivildiener über Strasser verwundert Die Zivildiener-Vertreter zeigen sich über die jüngsten Aussagen von Innenminister Ernst Strasser verwundert. Bundessprecher Rainer Sittenthaler meinte Donnerstag Nachmittag, man habe während der vergangenen Wochen in diversen Aussendungen schon wiederholt auf die Probleme aufmerksam gemacht. Persönlichen Kontakt mit dem Innenministerium habe es im heurigen Jahr jedoch nicht gegeben, gestand Sittenthaler ein. Ungeachtet dessen ist der Bundessprecher überzeugt, dass die derzeitige Verpflegungssituation nicht akzeptabel sei. Dies sei auch schon durch ein Verfassungsgutachten belegt. Die Anforderung an die Trägerorganisationen, für "angemessene Verpflegung" zu sorgen sei nicht klar genug formuliert. Die Kritik der Zivildiener fokussiert sich im Moment darauf, dass seit der Zivildienst-Novelle Pauschale und Essensgeld oft zu spät ausgezahlt würden. Als Konsequenz wollen sie das Gesetz nun beim Verfassungsgerichtshof anfechten. VP-Sicherheitssprecher Paul Kiss meinte dagegen am Donnerstag in einer Aussendung, das Vorgehen von Minister Strasser habe sich "hervorragend bewährt". Immerhin gebe es im Februar mit 3.000 Zivildienern so viele noch nie zuvor. Der Vorwurf, dass die Zivildiener auf ihr Geld warten müssten, stimme nicht. Entsprechende Kritik auch der Grünen sieht der Sicherheitssprecher im Zusammenhang mit der Wien-Wahl. Einen Wahlkampf auf Kosten der Zivildiener würde die ÖVP aber nicht mitmachen. (APA)