Fangen wir dort an, wo sich eigentlich alles aufhört: Bei der forschen Ansage des amtierenden Bundeskanzlers, der österreichische Staat sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Auch wenn diese Behauptung durch spitzfindige völkerrechtliche Verrenkungen irgendwie zu decken versucht wird, trieft sie vor demagogischem Zynismus: Wie erinnerlich, sah Österreichs Opferung so aus, dass 250.000 Angehörige dieser Opfernation am 13. März 1938 einmal gleich auf den Wiener Heldenplatz rannten, um Adolf Hitler, dem großen Sohn ihrer frisch abgeschafften Heimat, und seinem sinistren Gefolge hell zuzujubeln. Dies, nachdem sich zur Beförderung dieser Abschaffung in Graz das Volk schon vorher erhoben hatte, verbrecherische Österreicher mit Arthur Seyß- Inquart an der Spitze den Staat schon längst unterminiert hatten und auch Theodor Innitzer, der Kardinal der Opfernation, schamlos für den Anschluss plädiert hatte. Das war Widerstand auf Österreichisch. Als Kurt Schuschnigg mit seinem berühmten "Gott schütze Österreich" abtrat, mochte seine Miene ähnlich bekümmert gewesen sein wie jene des gegenwärtig amtierenden Bundespräsidenten, als er jenes Ensemble, das sich durch einen unterirdischen Gang in seine Amtsräume geschlichen hatte, als Kanzler, Minister und Staatssekretäre auf Österreichs Bürger losließ. Alternativen wie die Verweigerung dieser Amtshandlung oder sein Rücktritt standen wohl nicht zur Debatte. Traurige Miene also als eine weitere Variante des österreichischen Widerstands. Nicht zu vergessen des donnerstäglichen Geschlenders politisch, psychisch und geistig verschiedenst facettierter Gutmenschen. Der eine mag gegen den Sozialabbau antreten, den manche blassrote Gesinnungsquallen, die sich in seiner Nähe tummeln, insgeheim begrüßen. Dafür aber wollen diese die Neutralität bewahren, die Ersterem wieder egal ist. Auch das ist Widerstand auf Österreichisch. Wegen einiger widerlicher rhetorischer Kalauer Jörg Haiders eint alldonnerstäglich alle der Protest gegen den Rassismus - ausgerechnet jener Regierung, die, warum auch immer, nach beschämenden 55 Jahren schwarz-roten Lavierens gegenüber den Naziopfern gutzumachen versucht, was überhaupt noch gutzumachen ist. Doch als Marcus Omofuma von zwei österreichischen Exekutivbeamten, die ihre dienstlichen Pflichten offenbar sehr ernst nahmen, anstatt nach Rumänien ins Jenseits deportiert wurde, demonstrierten vor dem damals roten Innenministerium nur ein paar Farbige. Nun wurden die beiden suspendierten Gesetzesdiener, die dem angeblich herzleidenden Omofuma auf seiner letzten Reise durch das Verkleben seines Mundes nicht eben besonders hilfreich zur Seite standen, vor wenigen Tagen skandalöserweise wieder mit Glanz und Gloria in Amt und Würden gehievt. Was die gutherzigen Umgeher natürlich nicht im Geringsten stört. Österreichs Widerständler suchen sich die, gegen die, und das, wogegen sie sind, eben so sorgfältig aus, dass die Ziele ihrer Proteste beinah geheim bleiben und diese selbst zu netten philosophischen und unbeholfenen grammatikalischen Übungen verkümmern. So trifft sie die allfällige Medienhäme einerseits nicht unverdient. Andererseits ist es gerade die öffentliche Meinung, die sich getreu dem Vorbild des Bundespräsidenten den halbverdauten Slogans dieser Regierung (Bündnisfreiheit, Solidarität, Nulldefizit) keineswegs verweigert. Im Gegenteil, sie hält diese der Diskussion für wert und trägt deren Umsetzung brav mit. Diesfalls zieht sich der österreichische Widerstand auf alibihaftes Gemaule über die Gefährdung von Österreichs Ansehen im Ausland und latenten Rassismus zurück. Während die von dieser Regierung zäh vorangetriebene Aushöhlung der österreichischen Neutralität und die drastische Schlechterstellung großer Bevölkerungsgruppen auf aktive Duldung stößt. In solchem Szenario ist das blamable Versagen jener Interessenvertretung, von der Widerstand eigentlich permanent und konsequent ausgehen müsste, nämlich des österreichischen Gewerkschaftsbundes, zwar betrüblich, aber nicht weiter erstaunlich. Während in Frankreich im Falle eines Konfliktes vor den Verhandlungen durch Arbeitsniederlegungen einmal vorgeführt wird, wie es ist, wenn eine Berufsgruppe aussetzt, wird in Österreich verhandelt und verhandelt und verhandelt. Und wenn gar nichts mehr geht, dann schwingt man sich mit kraftloser theatralischer Drohgebärde zu ein paar kläglichen Betriebsversammlungen oder innerbetrieblichen Informationsveranstaltungen auf - nicht ohne zuvor fast rührend treuherzig zu versichern, dass durch diese biedermeierlichen Zusammenkünfte der Arbeitsablauf vielleicht ein klitzekleines bisserl, das öffentliche Leben aber selbstverständlich ganz und gar nicht beeinträchtigt wird. Das nennt sich in Österreich Widerstand. Und wenn es, wie im Falle der Lehrer, tatsächlich zu einem Ausstand kommt, dann richtet sich dieser groteskerweise gegen die eigene Gewerkschaft, deren Vorsitzender seine ihm anvertraute Klientel zuvor an die Regierung verschaukelt hat. Ebenso wie die Gerüchte nicht verstummen wollen, dass die Partitur zu der sich nun anbahnenden legistischen Attacke auf die österreichische Beamtenschaft aus der Feder ihres Gewerkschaftsbosses stammt. So wird in Österreich der Widerstand praktiziert. Das einfache, durch alle Epochen der Geschichte ablesbare Gesetz, dass eine Regierung, die in ihren Forderungen an den Bürger immer unverschämter wird und das Augenmaß verliert, nur durch ein entscheidenes "Bis daher und nicht weiter" gestoppt werden kann, ist in Österreich seit Metternichs Zeiten außer Kraft gesetzt. Der Widerstand bleibt österreichisch. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 2. 2001)