Kunst
"Grundsätzlich eine Sauerei"
Die direkte Vergabe der Messeneubauten könnte ein juristisches Nachspiel haben.
Die Stadtplanung Wien agiert zurzeit wie ein Führerscheinneuling, der in der ersten Reihe vor der roten Ampel steht. Hinter ihm
hupen alle zur Hetz, und er startet bei Rot über die Kreuzung, kopflos, wie er ist.
Die Fahrt führt in diesem Fall Richtung Neuerrichtung der Wiener Messe. Die Huper sind Wirtschaftskammer, Bank Austria und
Messebetreiber, und die rote Ampel, die missachtet und überfahren wird, steht für gute Architektur, Städtebau und einen gewissen
Moralkodex, dem der öffentliche Architekturauftraggeber der Stadt und ihren Bewohnern gegenüber verpflichtet sein sollte.
Wie DER STANDARD bereits berichtete, wurde der Auftrag, der maroden Messe Wiens ein ordenliches Outfit in Form neuer Hallen zu
verpassen, direkt und ohne den fruchtbaren Umweg über Wettbewerb oder Gutachterverfahren an ein Ingenieurbüro und somit an
Nichtarchitekten vergeben. Da es sich um die Kleinigkeit von 2,3 Milliarden Schilling handelt, vor allem aber um einen wichtigen
Kernpunkt der Stadt, der sorgfältige städtebauliche Behandlung und entsprechendes architektonisches Feingefühl verdient, verblüfft
diese Vorgangsweise sowohl Architekten als auch Vergabejuristen.
Tatsächlich ist die Sache weit komplizierter, als es auf den ersten Blick den Anschein hat: Der Auftrag wurde zu einem Zeitpunkt
vergeben, als sich die Messe zwar noch nicht im Besitz der Stadt befand, Wien jedoch längst die Messefäden zu ziehen begonnen
hatte. Klar ausgedrückt: Die Gemeinde versteckte sich hinter einem Privatunternehmen (eine Bank-Austria-Tochter als
Auftraggeberin), um freihändig vergeben zu können. Die Böcke (Bank Austria), die vorher schon als Messebetreiber nur Mist
produziert hatten, wurden auch gleich zu den neuen Gärtnern gemacht, damit alles in der Familie bleibt.
Zum Verständnis: Die Messe stand jahrelang im Besitz der Bank Austria und der Wirtschaftskammer, war ein kommerzieller
Dauerflop und brachte nicht annähernd die von der Gemeinde Wien gewünschte Umwegrentabilität. Deshalb beschloss man, die
Sache selbst in die Hand und die Messe mehrheitlich zu übernehmen. Schon bevor die Kaufverträge unterzeichnet wurden, gab es
seitens der Stadt Verhandlungen mit potenziellen neuen Betreibern, und - notabene - eine städtebauliche Studie wurde gemeinsam
von der MA21A (Flächenwidmung) und dem Finanzressort in Auftrag gegeben - ebenfalls lang bevor die Messe übernommen
wurde.
Schließlich fand man in Reed einen Betreiber und in der Bank Austria Creditanstalt Leasing ein Privatunternehmen, das als formale
Bauherrin und Auftraggeberin für die neue Architektur auftrat. Erst als der Acker solchermaßen bestellt war, erwarb Wien das
Messeunternehmen.
Das intensive öffentlich-rechtliche Engagement, das Exfinanzstadträtin Brigitte Ederer da schon vor Übernahme an den Tag gelegt
hat, dürfte jene Vergabejuristen interessieren, die den gesamten Deal als fragwürdig und anfechtbar erachten. Die Verträge
scheinen zwar alle wasserdicht zu sein, doch die Meinungen darüber, ob die Freihandvergabe nicht doch eingeklagt werden könne,
gehen trotzdem auseinander. Tatsache ist, dass der Oberste Gerichtshof in einem ähnlichen Fall vor knapp zwei Jahren für die
Einhaltung des Bundesvergabegesetzes entschied. Zitat aus der Urteilsschrift: "Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers ist nicht
in einem engen formal-institutionellen, sondern in einem erweiterten funktionellen Sinn zu begreifen und erfasst etwa auch durch
"Privatisierungen" ausgegliederte Kapitalgesellschaften. Diese dem Bundesvergabegesetz unterlegten Wertungen können deshalb
auch außerhalb dessen unmittelbaren Anwendungsbereichs fruchtbar gemacht werden."
Die Architektenkammer überlegt ein Klage, braucht dafür allerdings einen Architekten, weil sie selbst nicht klagsberechtigt ist.
Länderkammerchef Michael Buchleitner: "Grundsätzlich ist die Sache eine Sauerei, doch aussichtsreicher als der juristische Weg
könnte der Appell an die politische Vernunft sein, und politisch verantwortlich ist in erster Linie Vizebürgermeister Bernhard Görg."
Der sagt Folgendes: "Ich habe versucht zu retten, was noch zu retten ist, wurde aber von der Messe zu spät in die Sache
eingebunden. Das Motiv der Direktvergabe bestand darin, Kosten einzusparen, und zwar aus dem falschen Verständnis heraus,
dass ein Wettbewerb automatisch mehr kosten würde." Er habe jedoch der Vorgangsweise "zähneknirschend" zustimmen
müssen, da 2003 ein großer Kardiologenkongress stattfinden solle, für den die neuen Hallen dringend benötigt würden. Görg: "Das
hat Vorrang vor allem anderen, dazu stehe ich, und ich sehe keine Chance, das Verfahren neu aufzurollen."
Diese gesamte Argumentationskette scheint allerdings nicht ganz schlüssig zu sein, denn aus dem beauftragten Ingenieurbüro
Fritsch, Chiari & Partner hört man, dass die zwei für besagten Kongress benötigten Hallen nur ein Bruchteil des Gesamtprojektes
darstellen, und die rasch und gegebenenfalls nur für ein paar Übergangsjahre hochzuziehen wäre überhaupt kein Problem. Das
Ingenieurbüro - traditionell im Dienste guter Architektur und guter Architekten unterwegs - freut sich zwar des Auftrags, versteht
sich selbst aber nicht als Projektentwickler, Architekten und schon gar nicht als Städtebauer. Man hört, dass Gustav Peichl, von
Görg als architektonisches Feigenblatt ins Team reklamiert, diese Führungsrolle nun aktiv anstrebe.
Eine einzige Meutergrube tut sich da auf. Warum schafft Wien nicht Klarheit, investiert aktiv in seine Messezukunft, baut halt
schnell die zwei Hallen, veranstaltet aber in der Zwischenzeit einen ordentlichen Wettbewerb für eine wirklich zukunftstaugliche
Lösung? Wer bei Rot über die Kreuzung fährt, wird zwar meistens nicht dabei erwischt, tut aber trotzdem etwas ziemlich Ungutes
und riskiert jedenfalls einen ordentlichen Crash.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11. 2. 2001)