9. Februar 2001 nzz http://www.nzz.ch/2001/02/09/fe/page-article75BRO.html http://www.mecanoo.nl/ http://www.nai.nl/ Die niederländische Architektur boomt. Ausgehend von Rem Koolhaas' theoretischer Grundlagenforschung und gefördert durch die öffentliche Hand, haben sich junge Büros wie MVRDV, UN Studio oder Mecanoo hervorgetan. Das Nederlands Architectuurinstituut (NAI) in Rotterdam widmet nun Mecanoo eine umfassende Ausstellung. Gut gebaut ist er. Seine Muskeln sind angespannt, bis zu den Fingerspitzen, und schwellenunter der Haut zur kräftigen Textur. Er kontrolliert seinen Körper, hat ihn zu einer Bananenformgekrümmt und seine Arme wie enorme Schwingen ausgebreitet. Die braucht er auch, denn er befindet sich im freien Fall. Auch wenn es so klingt:Er ist nicht der Becks-Bier-Mann aus der Werbung, der zu einem tollkühnen Sprung von den Klippen in die Fluten ansetzt, um dem teuren Accessoire seiner Segelbegleitung hinterherzufischen. Nein, er ist das Logo der Rotterdamer Architektengruppe Mecanoo und ziert in dieser Funktion Visitenkarten und Architekturmodelle. Insgesamt 220 Pro jekte hat Mecanoo in über fünfzehn Jahren Praxis entworfen, 80 davon wurden reali siert, und an weiteren 35 wird derzeit gebaut. Eine stolze Bilanz ist das. Sie wurde ermöglicht dank rund 50 Mitarbeitern und internationalem Renommee. An diesem wird in Form von Bauvorhaben, Ausstellungen und Lehraufträgen auch im Ausland mit viel Energie gearbeitet. Nun hat Francine Houben, Mitbegründerin von Mecanoo und Professorin an der Architekturakademieder Università della Svizzera Italiana in Mendrisio, ein Buch über zwanzig Mecanoo-Bauten geschrieben, die nun im Nederlands Architectuurinstituut (NAI) in Rotterdam anhand von Modellen der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Experiment in jungen Jahren Zu den Charakteristika der zeitgenössischen niederländischen Architektur zählt die Jugendlichkeit der meisten Protagonisten. Immer wieder erstaunt, dass die Architekten hier experimentelle Entwürfe realisieren können, und das in einem Alter, in dem anderswo in aller Regel erst einmal die lange Zeit des Darbens einsetzt. Die Gründer von Mecanoo standen am Anfang dieses Trends: Als sie 1985 den Wettbewerb für den Wohnkomplex für Jugendliche am Kruisplein in Rotterdamgewannen, hatten sie noch nicht einmal ihr Studium abgeschlossen, und der Älteste der Gruppe war gerade einmal 25 Jahre alt. Seit den achtziger Jahren macht Mecanoo eine Architektur, die - von Moderne-Zitaten durchsetzt und später noch mit japanischen Details verfeinert - eine klare Formsprache vertritt. Die auf effizienten Plänen basierenden Bauten besitzen in ihrem Inneren atmosphärische Räume, strahlen aber auch in ihre Umgebung aus. Moderne-Zitate finden sich anfangs vor allem in Wohnbauprojekten, mit denen Mecanoo in den Niederlandeneinen neuen Standard begründete: Zu ihren Markenzeichen gehören raffinierte Typologien und eine sorgfältige Gestaltung des öffentlichen Raums. Dies zeigt sich etwa bei dem 1989 fertiggestellten Wohnkomplex Hillekop, der in seiner skulpturalen Deutlichkeit und in der Schlüssigkeit des Gesamtkonzepts an Aaltos Neue Vahr in Bremen erinnert. Diese Anfänge behandelt die Ausstellung «Mecanoo: composition - contrast - complexity» im NAI nur am Rand. Stattdessen fokussiert sie die neuesten Arbeiten. Etwa die 1993-1998 entstandene Bibliothek der Technischen Universität Delft, die wie ein Landschaftselement unter einem sanft geschwungenen Dach aus Gras eine lichte Halle mit Leseplätzen beherbergt. Als weithin sichtbares Zeichen ragt ein weisser Kegel über die Grasfläche hinaus und stösst gleichzeitig durch das Dach in den Lesesaal hinein, um kurz über dem Boden in der Schwebe zu verharren. Das Runde als Kontrast Das strenge Formvokabular der Moderne hat Mecanoo in den jüngsten Projekten gegen einen virtuosen Umgang mit organischen Formen eingetauscht: Kontrastreich stehen sich bei dem im letzten Jahr fertiggestellten Museum in Arnheim trennscharfe Geraden und schwellende Rundungen gegenüber. Gleichsam abgesunken in denweichen Waldboden, hat hier ein überdimensioniertes Ei aus Kupferpaneelen neben einem langgezogenen und kantigen Backsteinriegel Platz gefunden. Im Inneren dominieren in spartanischer Kargheit helles Holz und Sichtbeton. Eingetaucht in jenes strahlende und die Sinne umflutende Blau von Teppich und Wand, das - eigens von Mecanoo entwickelt - in den Bauprojekten immer wieder Verwendung findet, wandeltder Besucher der Schau durch eine Galerie perfekt gearbeiteter Modelle. Es sind reine Präsentationsstücke, oft erst nach der Vollendung des Bauwerks angefertigt. Zur Professionalität der Schau tragen farbintensive Photographien bei, die über die Modelle hinaus den realen Kontext zu vermitteln suchen. Karten und Computer für die detaillierte Recherche runden das Ausstellungsangebot ab. Spätestens hier wird deutlich, was auch die Architektur dieses Büros ausmacht: die Hoffnung, durch qualitätvolles Arbeiten und gekonnt eingestreute Stilzitate könne die Ästhetik der Moderne losgelöst vom Furor planerischer Gewalt wieder auferstehen, eben als das, was das NAI die «Moderne ohne Dogma» genannt hat. Unklar bleibt nur, was denn das kleine fliegende Männchen auf allen den Modellen bedeutet. «Befreiung ist das», gibt Houben als Antwort, «Neuanfang, losgelöst von allen Fesseln - deshalb haben wir es als unser Logo gewählt.» Johann Christoph Reidemeister Bis zum 25. Februar im NAI. Katalog: Mecanoo architects: composition - contrast - complexity. Hrsg. Francine Houben. Englisch. Birkhäuser-Verlag, Basel 2001. 260 S., hfl. 89.50.