Wien - Es ist erstaunlich, zu welcher Emotionalität sich ein naiver Moralismus aufschaukeln kann. Ein gutes Beispiel dafür: Das "Pressegespräch" des umstrittenen US-Politologen Norman Finkelstein am Freitag in Wien. Finkelstein spricht nicht, er predigt im Stil von Girolamo Savonarola. Er ruft die halbe Welt vor das imaginäre Gericht der Opfer des Nationalsozialismus. Kein Lebender, der die Interessen dieser Toten zu vertreten beansprucht, kann da bestehen. Es gibt Opportunisten, keine Frage. Daniel Goldhagen ist Professor in Harvard, wie Finkelstein ihm anlastet. Stuart Eizenstat bezog ein Gehalt als Unterstaatssekretär der USA. Elie Wiesel erhielt den Friedensnobelpreis, und Edgar Bronfman präsidiert den World Jewish Congress . Da ist Geld im Spiel, und "Geld korrumpiert". Schwere Geschütze, mit denen Finkelstein auffährt, weil er "Piraten auf hoher See" wittert. "Ich will über Simon Wiesenthal nichts sagen", sagte er in Wien, "aber Wiesenthal lässt sich die Patronanz der nach ihm benannten Stiftung mit 90.000 Dollar im Jahr vergüten". Die Zahl mag stimmen, die Umstände werden ein wenig anders sein, wie in allen Fällen, die Finkelstein herbeizitiert. Keine Frage also, dieser Saubermann hat in allem irgendwie Recht. Seit Adam und Eva läuft allerhand schief. Warum er sich selbst davon ausnimmt, weiß man nicht. Ist auch egal. Finkelstein erneuerte im Kaufhaus Steffl (Amadeus-Literatur-Café) all die Vorwürfe, die er in seinem Essay Die Holocaust-Industrie erhoben hat. In aller Missverständlichkeit. Denn die Rede von einer Lobby, die sich an der jahrzehntelang verzögerten Rückgabe dessen bereichert, was von Österreich und Deutschland den Vertriebenen und Ermordeten geraubt worden ist, ist Wasser auf die Mühlen derer, die immer noch infizierbar sind von der nationalsozialistischen Halluzination einer "jüdischen Weltverschwörung". Das kümmert Finkelstein nicht. Moralisten sind keine Realpolitiker. Eine Hand voll Aktivisten besetzte während der Veranstaltung kurz das Podium, entfaltete ein Transparent und forderte: "Nazis raus!" Niemand ging. Es wäre angesichts der Überfülltheit des Raumes auch schwierig gewesen. So ist die Welt. Der Anlass war übrigens das Erscheinen der deutschen Ausgabe des Buches bei Piper. Und wie angedeutet: Das Buch ist käuflich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 2. 2001)