Der Unmut entzündet sich an Geschäftsführer Karl Schiessl, der aus der ÖVP Burgenland stammt. Er habe, werfen die beiden Kritiker ihm vor, schon kurz vor der Nationalratswahl im Herbst 1999 begonnen, das Blatt schwarz-blau einzufärben. Chefredakteur Heinz Fahnler trage seinen Titel nur mehr nominell; seine Kompetenzen seien auf beinahe null zurechtgestutzt worden. Fahnlers Stellvertreterin Erika Bettstein: "völlig kaltgestellt". Eduard Großmaier, Chef vom Dienst: abberufen, in die Pension genötigt. Die Ressortleiter Außenpolitik (Rainer Mayerhofer) und Chronik (Christa Karas): in ihren Zuständigkeiten beschnitten. Einer der Kritiker: "Das sind lauter Rote - und das war die Umgestaltung der Wiener Zeitung ." Der Zweite spricht von "Hatz auf die Sozialdemokraten in der Redaktion". Fahnler war zu keiner Stellungnahme zu bewegen. Schiessl protestiert auf Anfrage vehement, unterstützt von Personalvertreter und Aufsichtsratsmitglied Alfred Schiemer (dem die Kritiker vorwerfen, er agiere "als Assistent der Geschäftsführung"): Dass Fahnler in der tagesaktuellen Arbeit durch Peter Bochskanl ersetzt wurde (dessen politische Heimat ÖVP kein Geheimnis ist), liege am Gesundheitszustand Fahnlers und sei mit ihm akkordiert. Bei Bettstein sei von Zurücksetzung keine Spur, bei Großmaier und Karas handle es sich um Reorganisation. Zu seinem Konflikt mit Mayerhofer steht Schiessl. Der Außenpolitikchef habe sich geweigert, über Österreichs OSZE-Vorsitz und über die Dritte Welt zu berichten. Aber die Vorwürfe der zwei Redakteure reichen weiter. Bei der Vorstellung der schwarz-blauen Regierung sei Susanne Riess-Passer in einem Bildtext mit ihrem Spitznamen als "Königskobra" bezeichnet worden; Schiessl habe dies kritisiert. Schiemer: "Wir sind auch Staatszeitung. In Stilfragen muss man sich schon zurückhalten. Selbst wenn der Politiker mit der Bezeichnung einverstanden ist, spürt man so etwas atmosphärisch." Schiessl: "Menschen mit Tiernamen zu belegen widerstrebt mir zutiefst. Für die Wiener Zeitung ist sie die Vizekanzlerin." Irrsinnig guter Kontakt Schiemer ist überzeugt, Riess-Passer habe nichts übel genommen: "Gerade mit der Frau Vizekanzler besteht ein irrsinnig guter Kontakt." Beim Fest, das die FP-Chefin kürzlich zu ihrem Vierziger gab, verteilte die Wiener Zeitung eine eigens gestaltete Sondernummer als Geburtstagsgeschenk, erzählt Schiemer. Nächster Vorwurf: Schiessl habe den Aufmacher zur Angelobung des Kabinetts Schüssel nicht goutiert: "Regierung von Misstrauen überschattet." Schiessl dementiert. Schiemer: "Da bin ich wieder bei der 'Königskobra'. Schauen Sie sich an, wie die Wiener Zeitung 1833 gemacht worden ist: Wir waren immer eher zurückhaltend und sachlich." 1833 fiel in die Ära Metternich; kann das ein Erfolgsrezept sein? Schiemer: "Nein. Aber wir haben Leser, die diese Zurückhaltung schätzen." Auch Schiessl ist überzeugt, die Wiener Zeitung dürfe "keine politische Wertung abgeben", sondern sei für den "objektiven Überblick" da. Sie sei "öffentlich-rechtliches Medium", ähnlich dem ORF, der aber in seinen Wertungen sogar "viel weiter geht als wir". "Manche behaupten", sagt der eine Kritiker, "es wird jeden Tag vom Büro Schüssel angerufen." Was Schiessl amüsiert: "Ich bemühe mich seit zwei Jahren um einen Termin bei Schüssel - und bekomme keinen." Und apropos Schüssel: 2000 hätte das Justizministerium der Wiener Zeitung um ein Haar die Pflichtinserate bei Eintragungen ins Firmenbuch entzogen; da wäre es, sagt Schiessl, für sein Blatt "um Sein oder Nichtsein" gegangen. ÖVP-Mediensprecher Wilhelm Molterer und der Bundeskanzler hätten den Plan vereitelt und die Wiener Zeitung gerettet. Genau das, sagt ein Kritiker, habe Schiessl auch in der Redaktionskonferenz erzählt - mit dem Zusatz: "Nur damit wir wissen, wo unsere Freunde sitzen." Der Redakteur ist immer noch empört: "Wenn das keine politische Einflussnahme ist!" Schiessl dementiert. Und auch über Schiemer kursiert eine Geschichte. Den Vorschlag, ein Foto von AK-Präsident Herbert Tumpel auf Seite eins zu stellen, habe er zurückgewiesen: "Rote Schädln tamma nimma aufs Titelblatt." Schiemer dementiert.