Zinssenkungen sind in aller Munde. Wenn die Zinsen fallen, ist es Zeit, sich mit Anleihen einzudecken, um die hohen Rendite im eigenen Portefeuille quasi festzuhalten. Denn Anleihemärkte verhalten sich wie träge Schiffe auf dem Meer: Sie müssen auf erwartete Kursänderungen schon frühzeitig reagieren. Die Leitzinsen der Notenbanken sind für sie Markierungsbojen, die man frühzeitig anvisiert, dabei aber schon die folgende im Auge behält und entsprechend knapper oder weiter an die erste heranfährt. Deshalb ist die Sekundärmarkt-Rendite österreichischer Bundesanleihen schon in den letzten Monaten von 5,5 auf 4,8 Prozent gesunken. Um so wichtiger sind jetzt die Prognosen zur weiteren Entwicklung: Die Spezialisten der Raiffeisen Zentralbank (RZB) erwarten zwar für das zweite Quartal ein Nachziehen der Frankfurter Euro-Wächter gegenüber den bisherigen Schritten der US-Notenbank. Allerdings könnte dann Alan Greenspan bereits einen Schritt weiter sein. "Wenn man jetzt langfristige Anleihetitel kauft, kann man nicht viel falsch machen", meint Lydia Kranner von der RZB, die wöchentlich auf der Homepage aktuelle Daten und Einschätzungen über den Anleihe markt veröffentlicht. "Österreichische Anleihen bleiben ein klarer Kauf." Dass sich der gegenwärtige Rendite-Vorteil österreichischer Anleihen gegenüber dem Durchschnitt der Euroländer (derzeit rund 30 Basispunkte oder 0,3 Prozent-Punkte) verringert, erwartet sie nicht. Allerdings rechnet Kranner für den Herbst wieder mit einer leichten Erhöhung der Anleihe-Renditen. "Wenn sich die Konjunktur-Erwartungen im zweiten Halbjahr bessern, werden die Zinsen auch wieder anziehen", glaubt sie. "Wir erwarten im Dezember für die langen Laufzeiten eine Rendite von 5,8 Prozent gegenüber derzeit 5,1 und bei mittleren Laufzeiten 5,34 gegenüber derzeit 4,76." Dollar-Schuldscheine Für Dollar-Anleihe-Renditen erwartet Kranner im gleichen Zeitraum noch stärkere Steigerungen. Veronika Lammer von der Erste Bank erwartet die Leitzinssenkung durch die Europäer erst im zweiten Halbjahr und sieht in einem ähnlichen Szenario die Renditen österreichischer Langläufer im Dezember zwischen 5,5 und 5,6 Prozent. Sie rät zu einem Engagement bei mittleren Laufzeiten, denn "die Zinskurve dürfte noch steiler werden". Die Deutsche Bank rechnet für März oder etwas später mit einer Leitzinssenkung im Euroland, die aber im Kapitalmarkt bereits vorweggenommen scheint, sich also in den Anleihe-Renditen kaum auswirken sollte. Mittelfristig kalkulieren die Frankfurter Banker mit einem leichten Anstieg der Renditen auf fünf bis 5¼ Prozent. Was unter Berücksichtigung des "Österreicher-Zuschlages" für Wien rund 5½ Prozent bedeuten sollte. Prognose-Probleme Es könnte aber auch anders kommen: Wenn nämlich die für das zweite Halbjahr erwartete US-Konjunktur-Erholung nicht eintritt, was die Deutschen Banker mit immerhin 40-prozentiger Wahrscheinlichkeit ansetzen. Dann rutschen die Zinsen nochmals kräftig, was die Anleihe-Renditen im Euroland im Herbst auf 4,3 Prozent drücken würde. Die vorigen Erwägungen gelten für Staatsanleihen und solche von ganz erstklassigen Schuldnern. Darunter, in der Corporate-Liga, ist das Klima bereits wesentlich rauer.

Denn am Markt der Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) überlagern die Ertragssituationen die reinen Zinserwägungen. Geht es den Unternehmen schlechter, schaut man genauer auf die Bilanzen. Rating-Firmen wie Standard & Poor's und Moody's haben Hochsaison. (Nikolaus Dolenz, DER STANDARD, Printausgabe 12.2.2001)