Welt
Geschätzte 300.000 Analphabeten in Österreich
Erst jetzt aber wird eine empirische Studie die genaue Zahl erheben
Graz - Analphabetismus ist nicht nur ein Problem der Dritten Welt: In den Industrieländern sind laut einer einer OECD-Studie rund
200 Millionen Menschen vom funktionalen Analphabetismus betroffen - österreichweit wird die Zahl jener, die Schwierigkeiten haben, einen
alltäglichen Text zu lesen bzw. zu schreiben, auf 300.000 Personen geschätzt. Genau weiß das allerdings niemand, weil österreichweit noch
nie eine empirische Studie in diese Richtung durchgeführt wurde, so Otto Rath, der Leiter des Grazer Vereines für innovative Sozialprojekte
(ISOP).
"Während man sich in Deutschland schon seit den achtziger Jahren um die Förderung erwachsener Analphabeten kümmert, ein
Bundesverband zum Fachkreis Alphabetisierung gegründet wurde, und die Initiativen auch mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden, weiß
man in Österreich noch nicht einmal, wie groß die betroffene Personengruppe ist", so Rath. Sein Verein betreut seit zwei Jahren von Graz aus
rund 30 steirische Analphabeten.
Wider die Tabuisierung
Es fehlt auch eine zentrale Stelle, die sich sowohl um die Weiterbildung der Betroffenen als auch ihrer Trainer, um Forschung in diesem
Bereich, neue Unterrichtskonzepte und nicht zuletzt eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit für die Probleme und Anliegen von funktionellen
Analphabeten kümmern würde, so Rath. Nun gehe es darum, die Tabuisierung dieses Themas zu überwinden, den Status Quo zu erheben
und sich Gedanken zu machen, wie man konkrete Verbesserungen herbeiführen könnte.
Im Rahmen einer Grazer Veranstaltung will man am kommenden Freitag, 16. Februar, erstmals steirische Politiker mit den Grazer Experten
und dem Geschäftsführer des Deutschen Bundesverbandes Alphabetisierung, Peter Hubertus, an einen Tisch bringen, um künftige Schritte zu
diskutieren und Perspektiven für Österreich und die Steiermark zu entwickeln.
"Funktionelle Analphabeten"
So genannte funktionelle Analphabeten sind Menschen, für die trotz der Absolvierung der Volksschulausbildung Zeitungs- und Buchtexte so
wenig verständlich sind wie chinesische Schriftzeichen. Für die Betroffenen bedeutet dies gravierende soziale Konsequenzen, die von
Schwierigkeiten in der Bewältigung des Alltags über Nachteile am Arbeitsmarkt bis zum Rückzug aus der öffentlichen Kommunikation und
der Teilnahme an demokratischen Bürgerrechten reichen können, so Rath.
Die Ursachen für funktionellen Analphabetismus sind vielfältig. Häufige Gründe sind Fehlzeiten in den ersten Schuljahren und ungünstige
familiäre Bedingungen, so dass die Kinder meist sich selbst überlassen werden, keine Hilfe bei den Hausaufgaben finden und generell keine
Leseimpulse erhalten. Es können aber auch unentdeckte und nicht therapierte gesundheitliche Störungen dazu führen, dass jemand nicht
ausreichend Lesen oder Schreiben lernt. (APA)