Leon Zelman

Dennoch steht seit dem letzten Jahr wieder Österreichs Vergangenheit zur Diskussion. Jüngstes Beispiel ist der zwischen CA-BA und Holocaust-Opfern (vertreten durch den US-Anwalt Ed Fagan u. a.) ausgehandelte Vergleich von 40 Millionen US-Dollar. Die Diskussion an sich hätte ihre volle Berechtigung, wenn es eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wäre.

Ich bin ebenso Überlebender des Holocaust und stimme mit Abraham Foxman völlig überein. Der Holocaust wird immer mehr in Verbindung mit diesen Klagen gebracht. Es geht dabei völlig unter, dass der Holocaust der planmäßige, technisierte Massenmord an sechs Millionen Juden war. Ich selbst habe dabei meine ganze Familie verloren. Ich wehre mich daher vehement dagegen, dass mein und das Leiden anderer ständig auf Geld reduziert werden.

Was mich im Zusammenhang mit der Diskussion um Entschädigungsforderungen besonders verbittert, ist die Tatsache, dass so manche Angehörige der jungen jüdischen Generation glauben, die Holocaust-Generation habe nicht den Mut gehabt, diese Forderungen zu stellen. Das ist nicht wahr. Diese jungen Leute vergessen, dass es sehr viel Mut gebraucht hat, um nach dem Überleben Familien zu gründen, Kinder in die Welt zu setzen und den Neuaufbau zu wagen. Wir waren völlig auf uns gestellt.

Hier geht es wahrlich nicht um Gerechtigkeit. Man kann Gerechtigkeit nicht mit Geld aufwiegen. Und man kann das unglaubliche Leid von sechs Millionen Juden nicht mit Geld rückgängig machen. Vielmehr wahr ist, dass tüchtige Anwälte glauben, ein Geschäft mit dem Holocaust machen zu können und sich anmaßen, im Namen der Holocaust-Opfer "Gerechtigkeit" zu erstreiten. Gerechtigkeit, frage ich, für wen? Diese ständige Diskusison um Bankkonten, Gold und Kunstwerke birgt wie Abraham Foxman richtig erkannt hat, auch eine andere Gefahr in sich. In der Öffentlichkeit muss der Eindruck entstehen, dass alle Juden vermögend waren. Es entsteht ein Bild von Juden, die beraubt und ermordet wurden, weil sie reich waren. Das ist blanker Hohn.

Wahr ist, dass die meisten Juden nicht vermögend waren, dass aber die Nazis nicht davor zurückschreckten, den Juden noch vor ihrem Gang ins Krematorium alles zu nehmen, was sie hatten.

Durch die ständige Diskussion um Geld geht die Substanz - die Auseinandersetzung mit der Geschichte verloren. Anstelle des ständigen Reagierens auf Druck von außen plädiere ich dafür, dass sich die betroffenen Firmen und die österreichische Bundesregierung sich zu einem Fonds zusammenschließen, der zunächst die Ansprüche der noch wenigen, lebenden und vor allem kranken und bedürftigen Holocaust-Opfer befriedigt. Wie Abrahm Foxman denke auch ich hier vor allem an hilfsbedürftige Überlebende in Israel, da die meisen von ihnen dort leben.

Wir stehen heute am Ende eines Jahrhunderts der Verbrechen und der Intoleranz. Wir haben die moralische Verpflichtung, nachfolgende Generationen über den Holocaust aufzuklären. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass sich heute viele junge Menschen mit dem Holocaust beschäftigen, ohne Kenntnis von dem Weg zu haben, der zum Holocaust geführt hat. Auschwitz war nicht der Beginn. Auschwitz war das Ende.

Aus dieser Erkenntnis heraus habe ich auch die Idee eines "Hauses der Geschichte" im Palais Epstein entwickelt. Österreich benötigt dringend ein international genutztes Zentrum der Dokumentation und Forschung. Für die Erinnerungsarbeit und die Ursachenerforschung des Holocaust. Ein Haus, das sich aber nicht allein mit dem Holocaust beschäftigen, sondern auch eine Institution der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rassismus und Fremdenhass sein soll. Ein wie oben angesprochener Fonds könnte auch ein derartiges Haus der Geschichte finanzieren und würde auf diese Weise ein erzieherisches und in die Zukunft weisendes Projekt realisieren.

Es bleibt unbestritten: Was geraubt wurde, muss an die Opfer bzw. ihre Erben zurückerstattet werden. Opferfonds sind eine wichtige Geste und können ein wenig Genugtuung verschaffen. Wesentlich für die Zukunft ist eine detaillierte, schonungslose Aufklärung über das Geschehene.

Leon Zelman ist Leiter des Jewish Welcome Service Vienna und Chefredakteur des "Jüdischen Echo".