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Innsbruck - Auf einen Großunfall mit vielen Opfern kann man auf dreierlei Art reagieren: mit Kulanz, mit einem neuen Einzelfallgesetz oder mit einer großzügigen Anwendung der bestehenden Gesetze. - Rund 80 Juristen aus Österreich, Deutschland und England diskutierten am vergangenen Wochenende in Innsbruck auf einer Tagung der Europäischen Vereinigung der Schadenersatzjuristen PEOPIL diese Varianten. Nicht persönlich anwesend, aber doch immer wieder Gesprächsthema war der US-Anwalt Ed Fagan. Nicht nur, weil er vor einem New Yorker Gericht bereits die ersten Klagen wegen des Seilbahnunglücks in Kaprun angestrengt haben soll. Nein, Fagan gilt europäischen Juristen vielmehr als Inkarnation der "amerikanischen Prozesskultur". Einer Prozesskultur, wie man sie hier nicht haben will. "Unser Rechtssystem darf nicht erstarren, sonst besteht die Gefahr, dass Veränderungen von außen bewirkt werden", sagt der Innsbrucker Rechtsanwalt Ivo Greiter, der das Seminar organisiert hat, mit Blick auf die USA. Denn die Rechtsordnungen stehen mittlerweile in direkter Konkurrenz. Auch europäische Anwälte versuchen, den günstigsten Gerichtsstand für ihre Mandanten zu finden. Für dieses "forum shopping" werden alle Untiefen des Internationalen Privatrechts ausgelotet. So beauftragen dann auch europäische Kanzleien ihre amerikanischen Korrespondenzkollegen, Gutachten über die US-Rechtslage zu erstellen. In diesem Wettstreit scheint die österreichische Rechtsordnung gerade bei Personenschäden nicht voll konkurrenzfähig (siehe Grafik). So betrug das bisher höchste Schmerzengeld 1,750.000 Schilling (Oberster Gerichtshof, 6 Ob 2394/96v vom 13. 2. 1997). Hinterbliebene bekommen beim Tod von Angehörigen nur dann Schmerzengeld, wenn sie selbst medizinisch nachweisbar körperlich oder seelisch darunter leiden - nicht aber für den Verlust an sich. Mindestüberlebenszeit Bisher ungeklärt ist auch, wie lang die Mindestüberlebenszeit eines Unglücksopfers sein muss, damit für sie oder ihn überhaupt ein Anspruch auf Schmerzengeld entsteht. OGH-Richter Karl-Heinz Danzl hatte hierzu in einem Aufsatz zum Kaprun-Unglück (in: Zeitschrift für Verkehrsrecht 2000, S. 398) die Meinung vertreten, dass ein plötzlicher, sofortiger Tod keinen Schmerzengeldanspruch auslösen könnte. Eine Ansicht, der der Innsbrucker Anwalt Stefan Kofler widerspricht: Es sei unzweifelhaft, dass der Mensch im Todeskampf Schmerzen empfinde, egal, wie lange das Sterben sich hinzieht. Man dürfe nicht denjenigen, der den Todeskampf verliert, schlechter stellen als den, der durch eine glückliche Fügung überlebt. Wie also mit einem Unfall wie dem von Kaprun umgehen? - Zwei Beispiele aus den Nachbarländern: In Italien erließ das Parlament zur Entschädigung der Hinterbliebenen nach dem Seilbahnunglück von Cavalese im Jahr 1998 ad hoc das Gesetz Nr. 497 (1999). Inhalt: Die Angehörigen eines jeden der 20 Getöteten bekommen pauschal 3,8 Milliarden Lire (27 Mio. S) aus dem Staatshaushalt. In Deutschland zahlte die Deutsche Bahn AG jeder Familie der 101 Todesopfer des ICE-Unglücks von Eschede im Jahr 1998 ein Schmerzengeld in Höhe von 30.000 Mark (211.000 S). Eine Leistung aus Kulanz, denn nach deutschem Recht muss überhaupt nur bei Verschulden Schmerzengeld gezahlt werden. In Österreich sieht es für die Opfer von Bahnkatastrophen rechtlich zunächst günstiger aus. Das Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) sieht in den §§ 12 Abs. 1 und 13 Abs. 1 einen verschuldensunabhängigen Schmerzengeldanspruch vor. Das Problem ist allerdings, dass im EKHG die Haftungshöchstbeträge pro Geschädigtem mit vier Mio. S (bzw. 240.000 S jährlicher Rente) recht niedrig angesetzt sind. Diese Summen werden schon durch Heilungskosten oder Unterhaltslasten leicht aufgezehrt. Eine Erhöhung der Beträge ist jedoch geplant. Fagans Klagen Bleibt die Frage, ob die Gletscherbahnen Kaprun AG und ihre Versicherung, die Generali, Fagan nun wirklich fürchten müssen. Der Wiener Anwalt Georg Zanger und sein Innsbrucker Kollege Franz Pegger meinen: kaum. Auf dem PEOPIL-Seminar bestätigten sie, was der Grazer Professor Willibald Posch schon am 18. November im STANDARD vertreten hatte: Klagen für Geschädigte, die weder US-Bürger sind noch einen Wohnsitz in den USA hatten, würden in den Staaten scheitern. Auch das Argument, in Österreich herrsche ein weniger opferfreundliches Recht als in den Vereinigten Staaten würde nicht verfangen, denn "so eindeutig unangemessen oder unbefriedigend, dass es überhaupt keine Abhilfe" gäbe, wie es der US-Supreme Court verlangt, ist das Schadensrecht hierzulande wohl nicht. Besser stehen die Erfolgschancen der Angehörigen der acht US-Bürger, die in Kaprun starben. Sie könnten durchaus ein Urteil in den USA bekommen. Allerdings: Sie würden es in Österreich nicht vollstrecken können. (Jörg Wojahn, D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 13. 2 . 2001)