Wien - Man muss ja nicht gleich Giuseppe Mezzofanti (1774-1849) nacheifern wollen. Die Leistungen, die dieses vielleicht größte Sprachgenie aller Zeiten aufweisen konnte, sind beeindruckend: 50 Sprachen und "den Dialekt von Bologna" beherrsche er, schrieb der italienische Kardinal 1839, der aus einer armen, kinderreichen Familie stammte und nur aufgrund seines außerordentlichen Talentes ein Studium absolvieren konnte. Der polyglotte Kirchenmann Mezzofanti könnte gut als Schutzpatron über dem Europäischen Jahr der Sprachen stehen, das EU-Kommission und Europarat heuer in einer gemeinsamen Initiative ausgerufen haben (der STANDARD berichtete). "Fremdsprachenkenntnisse sind für eine vielfältige und blühende EU von wesentlicher Bedeutung", befindet die Brüsseler Generaldirektion Bildung und Kultur und verweist auf das Weißbuch "Lehren und Lernen: Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft" von 1995, in dem das ehrgeizige Ziel festgelegt wird, dass jeder EU-Bürger mindestens drei europäische Sprachen beherrschen solle: seine Muttersprache und noch zwei weitere dazu. Die Sorge der europäischen Institutionen um die verbale Versiertheit der Europäer sind verständlich: Die Sprachenvielfalt Europas bedeutet einen ungeheueren geistigen Reichtum, aber sie erlegt auch jedem Bürger die süße Zusatzbürde des Fremdsprachenlernens auf, wenn er die Vorzüge von Unionsbürgerschaft und Binnenmarkt zur Gänze ausschöpfen möchte. Bemerkenswert ist, dass sich der Umgang mit fremden Idiomen in den verschiedenen nationalen Kulturen Europas sehr unterschiedlich gestaltet: Während drei von vier Niederländern, Schweden oder Dänen des Englischen mächtig sind und sich so gut wie jeder Luxemburger in einer Fremdsprache unterhalten kann, beherrscht in Portugal und Irland weniger als ein Drittel der Bevölkerung eine Fremdsprache. Ähnlich bescheiden sind die Fremdsprachenkenntnisse der Briten: Sie haben freilich den Vorteil, dass sie von Haus aus im Reich des Englischen, der europäischen Lingua franca, beheimatet sind: Der Economist hat sich unlängst über die selbstzufriedene politische Kaste in Großbritannien mokiert, die es vielfach für ausreichend hält, wenn sie in Englisch parlieren kann: So sind etwa Vizepremier John Prescott oder Landwirtschaftsminister Nick Brown bekennende "Monoglotte". Im gesamten EU-Raum ist, nicht verwunderlich, Englisch die am häufigsten gelernte Fremdsprache: 89 Prozent aller Schüler in der EU werden im Englischen unterrichtet, 32 Prozent lernen Französisch, 18 Prozent Deutsch und acht Spanisch als Fremdsprache. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 2. 2001).