Berlin/New York - Die Schadenersatzklage von Opfern des Holocaust gegen den Computerkonzern IBM in den USA hat bei der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft neue Besorgnis um die angestrebte Rechtssicherheit vor neuen Sammelklagen ausgelöst. Die Klage in den USA, die sich gegen die Mutterfirma des weltgrößten Computer-Konzerns richtet, drohe die Herstellung von Rechtssicherheit weiter zu verzögern, sagte der Sprecher der Stiftungsinitiative zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter, Wolfgang Gibowski, dem "Handelsblatt" (Dienstagausgabe) laut Vorausbericht. Dies könne dazu führen, dass sich die Zahlungen an die Zwangsarbeiter weiter verzögerten. Dagegen stufte der frühere US-Chefunterhändler Finanzstaatssekretär Stuart Eizenstat in New York die möglichen rechtlichen Konsequenzen aus der Klage als vermutlich gering ein. Auch der rechtspolitische Sprecher von Bündnis90/Die Grünen, Volker Beck, bestritt, dass es wegen der Klage zwangsläufig zu Verzögerungen kommen müsse. Am Freitag hatten fünf Holocaust-Opfer in den USA ihre Klage gegen IBM mit der Begründung eingereicht, IBM habe den Nationalsozialisten eine Lochkarten-Technologie geliefert, die diese zur Erfassung ihrer Opfer genutzt hätten. Die Verantwortlichen hätten dies auch gewusst. Gibowski sagte, auch wenn die Klage vor einem Gericht in New York eingereicht sei und sich gegen den Mutterkonzern IBM richte, drohe eine Verzögerung der Zahlungen. Auch die Mütter von deutschen Tochterfirmen müssten vor Sammelklagen geschützt werden, damit die notwendige Rechtssicherheit gewährleistet sei. Man sehe die Entwicklung mit Sorge, weil dadurch der für spätestens Mai vorgesehene Auszahlungsbeginn der Entschädigungszahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter noch weiter hinausgezögert werden könne. "Verunsicherung" der Öffentlichkeit Der Grünen-Politiker Beck widersprach. Die Klage müsse die Feststellung der Rechtssicherheit im Bundestag nicht verzögern. Beck warf Gibowski vor, die Öffentlichkeit nur unnötig durch seine Warnungen zu verunsichern. Auf bisher zahlungsunwillige Unternehmen wirke dies auch eher kontraproduktiv. Eizenstat, ehemaliger Staatssekretär in der Regierung den früheren US-Präsidenten Bill Clinton, verwies in einer von ihm als privat bezeichneten Stellungnahme darauf, dass sich das Computerunternehmen IBM an der Stiftungsinitiative beteilige. Auch die Mutterkonzerne in den USA seien von der Rechtssicherheitsregelung erfasst. Eine rechtliche Folge könne lediglich in dem Fall eintreten, wenn dem US-Konzern in dem Verfahren ein eigenständiges und von dem damaligen deutschen Tochterunternehmen unabhängiges Fehlverhalten nachgewiesen würde. Am Montag hatte der US-Holocaust-Forscher Edwin Black sein jüngstes Buch vorgestellt, in dem er Vorwürfe gegen den IBM-Konzern erhebt. In dem Buch "IBM und der Holocaust" beschreibt Black geschäftliche Verflechtungen der damaligen deutschen IBM-Tochter Dehomag mit dem Nazi-Regime und inwieweit sie ihre Maschinen auf dessen Bedürfnisse angepasst haben könnte. Während IBM USA eine ausführliche Stellungnahme zunächst ablehnte, sagte IBM-Deutschland-Sprecher Thomas Mickeleit, die IBM-Tochter Dehomag sei im Krieg unter die Zwangsverwaltung der Nationalsozialisten gekommen. Nazis mit Technologie versorgt Historikern ist seit langem bekannt, dass die Nazis im großen Umfang Hollerith-Lochkarten-Zählmaschinen verwendeten. Die Maschinen wurden in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts von dem deutschstämmigen US-Bürger Hermann Hollerith für Volkszählungen in den USA entwickelt. Die Nazis benutzten die Vorläufer der heutigen elektronischen Datenbank-Technologie, um für ihre Zwecke Querverbindungen zwischen Namen, Adressen, Herkunft und Bankkonten ihrer Opfer zu ziehen. In der Klageschrift des Opferanwalts Michael Hausfeld heißt es, IBM habe die Nationalsozialisten wissentlich mit der Technologie versorgt, mit der die Insassen der Vernichtungslager katalogisiert worden seien. Damit habe die Firma die Verfolgung und das Leiden der Opfer sowie den Völkermord gefördert. (APA/Reuters/dpa)