Peking/Wien - Bei allen Drohgebärden ist die Volksrepublik China militärisch derzeit noch nicht in der Lage, Taiwan zu erobern. Trotz ihrer Modernisierung fehlen der Volksbefreiungsarmee nach Erkenntnissen westlicher Militärexperten nach wie vor die Landungsfähigkeiten für eine Invasion. Die qualitativ überlegene taiwanesische Luftwaffe und Luftabwehr können die Insel wirksam verteidigen. Der Preis einer Aggression, die sich auf der internationalen Bühne sehr nachteilig auswirken würde, wäre für Peking wirtschaftlich wie politisch viel zu hoch. Taipeh bezeichnet das Verhalten Pekings als "gefährliche Form von Erpressung". Ein militärisches Abenteuer könnte 50 Millionen Chinesen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße das Leben kosten und würde die USA in den Konflikt involvieren. Im "Taiwan Relations Act" hatte Washington 1979 garantiert, der Insel im Falle eines Angriffs zu Hilfe zu kommen. Worauf sich die Volksbefreiungsarmee in den vergangenen Jahren vorbereitet hat, sind "regional begrenzte Kriege mit modernsten technischen Mitteln". Wertvolle Einblicke in die Gedankengänge der Pekinger Militärführung hatte ein Buch mit dem Titel "Kann China den nächsten Krieg gewinnen?" geboten, das schon kurz nach seinem Erscheinen wieder aus dem Buchhandel verschwand. Wie aus dem Band hervorgeht, steht der chinesische Generalstab auf dem Standpunkt, dass die Gefahr eines Weltkrieges gebannt sei, regional beschränkte Konflikte aber immer härter würden. Bisherige Feindbilder Als "Hauptgegner" wurden in dem Buch in jeweils eigenen Kapiteln die USA, Russland, Japan, Indien und Vietnam genannt, direkte militärische Konfrontationen mit den vier erstgenannten Großmächten aber ausgeschlossen. Vorstellbar bleiben nach Beurteilung des Pekinger Generalstabs "Optionen" gegen Taiwan und Vietnam. Dass eine solche Taiwan-"Option" die USA auf den Plan rufen würde, ist der Pekinger Führungsspitze bewusst. So warnte vor einer Woche der chinesische Botschafter in Canberra, Zhou Wenzhong, die Amerikaner sollten nicht versuchen, sich mit ihren pazifischen Verbündeten wie Japan oder Australien in den Konflikt einzumischen; Jeder Versuch, die "Kosovo-Formel" der NATO auch in Asien zur Anwendung zu bringen, wäre ein grober Fehler und würde scheitern. Die USA hatten 1996 mit der Entsendung ihrer 7. Flotte klar dokumentiert, dass sie die Seestraße von Taiwan (Straße von Formosa) als einen internationalen Wasserweg betrachten. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik sind, wie namhafte US-Regierungsberater in Fachzeitschriften wie "Naval Forces" oder "Asian Survey" hervorgehoben haben, auch die Voraussetzungen für ein umfassendes Aufrüstungsprogramm verbunden. 1998 hatte Peking die Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 12,8 Prozent zur Modernisierung der Streitkräfte bekanntgegeben. Die Eskalation kommt nicht unvermutet Der Streit um die Abgrenzung der Territorialgewässer und die Nutzungsrechte der maritimen Bodenschätze hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschärft. Das Konfliktpotential ist in Anbetracht der wirtschaftlichen Aspekte beträchtlich. Peking hat unter Berufung auf die UNO-Seerechtskonvention beschlossen, seine Seegrenzen auszudehnen. Die Volksrepublik beansprucht Inselgruppen wie die Spratly- oder die Paracel-Inseln, die teilweise bis zu 2000 Kilometer von ihrer Südküste entfernt sind. Mit der Errichtung von Stützpunkten hat Peking gegen die Prinzipiendeklaration von Manila aus dem Jahr 1992 über die friedliche Streitbeilegung im Südchinesischen Meer verstoßen. Das chinesische Verhalten hat große Beunruhigung und tiefes Mißtrauen bei den ASEAN-Staaten hervorgerufen. Mit Japan gibt es die Kontroverse um die Senkaku-Inselgruppe im Ostchinesischen Meer. (APA)