Standard: Die interdisziplinäre Austrian "Breast Cancer Study Group" oder ABCSG, an der sich zahlreiche Spitäler beteiligen, präsentiert kommenden Montag aktuelle Zahlen über die Behandlungsfortschritte bei Brustkrebs. Welche Entwicklungen gibt es? Stierer: Die Häufigkeit des Auftretens von Brustkrebs ist in Österreich seit 1983 um 25 Prozent gestiegen, die Sterblichkeit aber nur um zwei Prozent. Wir sind also besser geworden. Bei kleinen Tumoren unter zwei Zentimetern liegt die Heilungsrate bei über 90 Prozent. Wenn wir den Krebs sehr früh erkennen können, solange sich die Tumorzellen noch in den Milchgängen befinden, ist meist eine vollständige Heilung möglich. In diesem Stadium erkennen wir heute aber nur vier bis sechs Prozent der Fälle. Diese Rate könnte auf 20 Prozent gesteigert werden. STANDARD: In wie vielen Fällen kann heute brusterhaltend operiert werden? Stierer: In der Frage, ob brusterhaltend operiert wird oder nicht, ist heute die Einstellung des Chirurgen die entscheidende Key-Position. In Österreich ist die Rate der brusterhaltenden Operationen in den Spitälern, die sich an der ABCSG beteiligen, von einem Viertel auf drei Viertel der Fälle gestiegen. Das ist eine auch im internationalen Vergleich exzeptionell hohe Rate. STANDARD: Bleibt, wie mitunter behauptet, tatsächlich ein größeres Risiko, wenn bei Brustkrebs nicht die ganze Brust entfernt wird? Stierer: Nein. Studien zeigen, dass auch bei brusterhaltender Operation eine zweite Operation nicht häufiger erforderlicher ist als bei einer Radikalentfernung. Dass eine Steigerung der Radikalität der Operation keine Verbesserung der Heilungschancen bringt, lehren die Erfahrungen der 60er, als in den USA superradikal, regelrecht verstümmelnd operiert wurde. Das Schicksal einer Brustkrebspatientin entscheidet sich nicht in der Brust, sondern in den Fernmetastasierungen des Tumors. STANDARD: Nach welchen Kriterien soll sich eine betroffene Frau ihre Brustkrebsklinik aussuchen? Stierer: Von der Infrastruktur her sind große Schwerpunktspitäler mit eigener Brustambulanz für die Diagnostik und Behandlung von Brustkrebs prädestiniert. Es sollte verschiedene Abteilungen geben, die bei Brustkrebs zusammenarbeiten, wie eine eigene Röntgenabteilung mit Möglichkeit zur stereotaktischen Stanzbiopsie, eine Röntgenabteilung, eine eigene Krebsabteilung und eine nuklearmedizinische Abteilung. Ganz entscheidend ist aber auch ausreichende Erfahrung der Chirurgen, also eine hohe Operationsfrequenz. STANDARD: Die ABCSG argumentiert, dass Brustkrebs-Patientinnen, die an Studien teilnehmen, durch die sorgfältigere Überwachung und die promptere Reaktion der Ärzte im Falle eines Rückfalls öfter wieder gesund werden und insgesamt länger leben. Wie kommt es dazu? Stierer: Es zeigt sich tatsächlich, dass Patientinnen, die an klinischen Studien teilnehmen, sogar bessere Heilungschancen haben. Bei vielen Frauen lösen klinische Studien Assoziationen mit Versuchskaninchen aus, das ist aber völlig unbegründet. (hu) (DER STANDARD, Printausgabe, 14.2.2001)