Brasilia - Die elfjährige Sibelly verkauft von frühmorgens bis kurz vor Mitternacht Kaugummi in den Bussen von Rio de Janeiro. "Meine Mutter sagt, ich brauche nicht zur Schule", beteuert das barfüßige dunkelhäutige Mädchen. Sein Schicksal wird auf den Straßen der brasilianischen Metropolen, auf Plantagen und im Bergbau von mindestens neun Millionen Kindern im Alter bis 15 Jahre geteilt. Für sie gibt es nun aber neue Hoffnung. Im südamerikanischen Land sollen alle armen Kinder in Zukunft für den Schulbesuch "Gehalt" bekommen. Dazu stellte Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso am Montag das landesweite Programm "Bolsa Escola" (Schulstipendium) vor. Es wird nach Angaben aus Brasilia ab sofort 10,7 Millionen Kindern zu Gute kommen und 1,7 Milliarden Real (rund 946 Mill. Euro/13 Mrd. S) kosten. "Das Brasilien der Zukunft hängt in erster Linie von der Ausbildung ab", sagte Cardoso bei Eröffnung des Schuljahres 2001. Mütter verwalten das Geld Jede Familie mit einem Gesamteinkommen von weniger als 50 Prozent des zurzeit bei 180 Real liegenden Mindestgehalts wird in Zukunft pro Kind und Monat 15 Real erhalten. Die Kinder im Alter zwischen sechs und 15 Jahren müssen monatlich nachweisen, dass sie mindestens 85 Prozent aller Unterrichtsstunden besucht haben. Das Hilfsgeld der Regierung soll nur von Müttern der Familien in Empfang genommen und verwaltet werden dürfen. Das Stipendium für arme schulpflichtige Kinder war 1994 auf regionaler Ebene im Bundesdistrikt Brasilia erfolgreich eingeführt, später von anderen Bundesländern kopiert und 1999 von der Regierung des Sozialdemokraten Cardoso übernommen worden. Bisher konnten aber nur rund eine Million Kinder der ärmsten Gemeinden des Landes davon profitieren. Dank der Verzehnfachung des bisherigen Budgets werden nun auch die armen Kinder etwa der Metropolen Rio de Janeiro, Sao Paulo oder Belo Horizonte ihr "Bolsa" bekommen. Kinderarbeit in 3 Jahren beseitigen Cardoso will damit in seinem Land "Kinderarbeit endgültig ausmerzen". Es gibt nach seinen Angaben noch immer neun Millionen Kinder, die teils aus eigenen Stücken, teils aber auf Druck der Eltern nicht zur Schule gehen. Auf Zahlungen für den nachgewiesenen Schulbesuch führt Cardoso zurück, dass 1999 und 2000 insgesamt 2,8 Millionen Kinder regelmäßig am Unterricht teilnahmen. Im zentralen Bundesland Goais sei die Kinderarbeit dank des Programms in nur drei Jahren um 90 Prozent reduziert worden. Skeptisch blieb dennoch ein Kommentator des TV-Senders Bandeirantes: "Das schwierigste kommt noch. Wer garantiert, dass die Rathäuser das Geld aus Brasilia tatsächlich weiterleiten?". Skrupel kennen viele Bürgermeister in Brasilien bei der Veruntreuung öffentlicher Gelder erfahrungsgemäß selbst im Sozialbereich nicht. In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche Fälle aufgedeckt, bei denen nur auf dem Papier Schulen gebaut und Schulessen verteilt wurden. Cardoso warnte aber: "Korruption bei Sozialprogrammen ist widerlich und inakzeptabel, wir werden sie nicht tolerieren." (dpa)