Andreas Rudas

Andreas Khol kann es nicht lassen: Ein Jahr nach seiner Kampfschrift Mein politisches Credo hat der ÖVP-Chefideologe noch ein Buch zur Propagierung seiner Version der Bürgergesellschaft geschrieben. Zu einem nicht unbeträchtlichen Teil besteht es aus Rechtfertigungen gegenüber der massiven Kritik an seinen Vorstellungen, die gerade auch aus dem eigenen Lager gekommen ist.

Es gelingt ihm jedoch nicht, den "parfümierten Mist", wie ein steirischer ÖVP-Mann geurteilt hat, wegzuräumen. Treuherzig beteuert Khol nun, es wäre alles ein Missverständnis: Er wollte doch niemandem sein eigenes rechtskonservatives Weltbild aufzwingen, das sehr rigide unterscheidet zwischen den "Guten", das heißt jenen, die traditionelle Werte hochhalten, wie wir sie angeblich besonders im ländlichen Raum finden, und den "Bösen", die vielleicht unkonventionellere Lebensentwürfe vorziehen.

Khols Antwort auf die vermeintliche Misere unserer Gesellschaft ist die "Bürgergesellschaft". Initiative Bürgerinnen und Bürger sollen mehr Eigenverantwortung übernehmen, "ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen", private Initiativen und vor allem Vereine sollen auf ehrenamtliche Weise die sozialen Probleme lösen.

Ehrenamtliches

Das klingt sehr schön. Wer sollte etwas gegen stärkere Bürgerbeteiligung oder mehr Engagement für den Nächsten einwenden? Tut auch niemand. Bloß: Wir haben das alles bereits! Ob beim Roten Kreuz, bei der Caritas, den freiwilligen Feuerwehren, der Bergrettung, den Kinderfreunden oder bei vielen anderen Einrichtungen - zahllose Menschen leisten ehrenamtlich Großartiges - in Zusammenarbeit mit hauptamtlichen Profis und auch gut abgestimmt mit den staatlichen.

Zivilgesellschaftliches Engagement in Ergänzung zum Sozialstaat ist wichtig und notwendig, ebenso wie Verbesserungen im Zusammenspiel der Akteure und die Beseitigung unnötiger bürokratischer Hemmnisse. Doch hinter Khols vordergründiger Unterstützung für den aktiven Bürger steht in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Populär wurde die Bürger- oder Zivilgesellschaft zum einen in der Zeit der Reaganomics, als massiver Sozialabbau dazu führte, dass private Einrichtungen vermehrt jene sozialen Dienste und Leistungen übernehmen mussten, aus denen sich der Staat zurückzog. Zum anderen war es die Opposition zur Zeit des zerfallenden Kommunismus in Osteuropa, die die Zivilgesellschaft den leninistischen Diktaturen als freiheitlichen Gegenentwurf entgegenstellten.

Zerrbild Österreichs

Nun ist freilich die österreichische Gesellschaft mit keinem dieser Gesellschaftsmodelle vergleichbar. Österreich ist ein freies, demokratisches Land mit einem soliden System sozialer Sicherheit. Kohl jedoch erfindet ein Zerrbild unseres sozialen Gefüges, nämlich die "Liegestuhlgesellschaft". In ihr herrscht "Demokratie-, Sinn-, Wert-und Solidaritätsverlust", der Staat wird von irgendwelchen "Spätmarxisten" - das sind vermutlich wir Sozialdemokraten - immer mehr aufgebläht, und niemand kümmert sich mehr um andere (daran ist für Khol vor allem das Liberale Forum schuld, weil es einem garstigen Egoismus huldigt): "Die einen liegen im Liegestuhl und schauen zu - der Liegestuhl wird vom Staat bereitgestellt - wohl befürsorgt, aber geprägt vom sinnlosen Leben -, die anderen stöhnen unter der Arbeit, der Bürokratie und der Steuerlast."

Also doch wieder die alte Leier von den Guten und den Bösen. Khol wirft den Schafspelz des Kämpfers für die offene Gesellschaft ab und zeigt sein erzreaktionäres Wesen. Gerade hat er noch die hohe Bereitschaft der Menschen dieses Landes zu Engagement und Aktivität hervorgestrichen, da sitzen sie schon wieder blöde vor Gewaltfilmen im Fernsehen und missbrauchen unser Sozialsystem.

Kein Almosentum

Im Visier hat Khol den "kalten" Sozialstaat. An seine Stelle soll die Idylle der kleinräumigen, familiären oder nachbarschaftlichen Betreuung treten, die spontane Hilfe für den anderen. In der Zeit hat Susanne Gaschke diese Haltung vor kurzem trefflich zusammengefasst: "Irgendjemand wird die Schwachen, die straucheln, hoffentlich auffangen, selbst organisiert natürlich." Keine Frage: Der Sozialstaat muss kontinuierlich reformiert, auf seine Treffsicherheit und Effizienz überprüft werden. Aber Almosentum und Re-Moralisierung der Gesellschaft sind nicht Aufgabe der Politik. Zudem lösen sie auch keine sozialen Probleme.

Wir müssen heute in erster Linie dafür sorgen, dass Menschen Arbeit haben, und zwar bezahlte Arbeit. Große Chancen bietet dafür der expandierende Dienstleistungssektor. Nicht ehrenamtliche oder durch ein dubioses "Bürgergeld" - wie Khol vorschlägt - finanzierte Arbeit steht für uns im Vordergrund, sondern nachhaltige Beschäftigung - im Feld der Gesundheits- und Sozialberufe und in vielen anderen Dienstleistungsbereichen.

Ein letzter Aspekt, der damit in Zusammenhang steht: Das Forcieren von freiwilligem Engagement und ehrenamtlicher Tätigkeit kann dort eine Gefahr in sich bergen, wo die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern betroffen ist. Gerade für Frauen kann der Bereich des freiwilligen Engagements zur Falle werden, solange bezahlte und ehrenamtliche Arbeit zwischen Mann und Frau nicht gleichmäßig verteilt ist, oder, wie der Ökonom Christoph Badelt formuliert: "Wenn aber die Strategie in der Praxis darauf hinausläuft, dass beispielsweise die Frauen die ehrenamtliche Arbeit und die Männer die bezahlte Arbeit leisten . . ., dann sehe ich dahinter eigentlich eine Diskriminierungsstrategie." Frauen zurück zur unbezahlten Pflege-und Versorgungsarbeit - da klingen die "bewährten und traditionellen" Werte deutlich heraus. Also doch nichts Neues bei Khol. Recht amüsant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass er versucht, ausgerechnet Tony Blairs Dritten Weg für seine Vorstellungen von der Bürgergesellschaft zu vereinnahmen. Grund dafür ist wohl die Einsicht, dass die relevanten und zukunftsweisenden programmtischen Debatten heute nicht von Konservativen, sondern von Sozialdemokraten geführt werden.

Andreas Rudas ist SPÖ-Bundesgeschäftsführer.