DER STANDARD: Grüß’ Sie, Herr Dinkhauser! Wie geht ’s? Dinkhauser: Kaum mehr zum Aushalten. DER STANDARD: Warum? Dinkhauser: Da kannst keine Freude mehr haben. Da weißt nicht mehr, wie Du dran bist. In was für einem Bett liegen die? Die haben ihre Vergangenheit nicht im Griff. DER STANDARD: Von wem sprechen Sie? Dinkhauser: Von der ÖVP. DER STANDARD: Aber das ist doch Ihre Partei. Dinkhauser: Ja, ja. Das weiß ich eh. Wir haben ja viele Verwandte, die kann man nicht alle mögen. Die muss man wieder katholisch machen. Die sind ja jahrelang im gleichen Sozialbett gelegen. Jetzt haben sie plötzlich die Bettwäsche gewechselt und wissen nicht mehr, wo sie hingehören. DER STANDARD: Ich nehme an, wir sprechen über Gesundheitspolitik. Alle reden vom Sparen, Leistungen werden gekürzt. Geht es in Richtung Zwei-Klassen-Medizin, müssen Leistungen weiter eingeschränkt werden? Dinkhauser: Das ist dramatisch. Wir haben keine einzige freiwillige Leistung mehr in Tirol. Keine einzige. Man darf ja nicht vergessen, das sind Leistungen gewesen, die über viele Jahrzehnte bezahlt worden sind. DER STANDARD: Was sind das für Leistungen? Dinkhauser: Zum Beispiel, wenn unser Muatterl im Altersheim liegt. Da hat sie die Windeln gezahlt gekriegt oder die Massagen. Oder Stützstrümpfe. Das kriegt sie jetzt nicht mehr. Und selber kann sie sich das nicht leisten. Das ist abenteuerlich, da bleibt einem die Spucke weg. Und das in einer Zeit, wo es immer heißt, wie gut es uns geht und uns die Regierung sagt, wie großartig wir sind. Wenn das der Ausdruck von Wohlstand ist, muss ich mich genieren. DER STANDARD: Wo sind Belastungen noch zu spüren? Dinkhauser: Sie müssen mit einer Familie reden, wo der Vater als Tischler 14.000 Schilling verdient, jetzt fallt die kostenlose Mitversicherung für die Ehefrau weg. Jetzt muss er noch die Ambulanzgebühr zahlen und die Rezeptgebühr, der muss permanent zahlen. Es ist ja ein ganzes Bündel an Belastungen, das fängt bei den Heizkosten an. Es geht ja nicht nur um die Leistungen, die der Finanzminister, der mit 65.000 netto nicht leben kann, den Leuten aufbrummt, da geht es auch um die Belastungen, die die Gemeinden und das Land an die Leute weitergibt. DER STANDARD: Und im Gesundheitsbereich? Dinkhauser: Es wäre so wichtig für den Staat, die soziale Ruhe zu erhalten, und das insbesondere auch im Bereich der Krankenversicherung. Den Leuten die Sicherheit geben, dass sie krank werden dürfen. Und nicht, dass ich sie letztlich noch bestrafe, wenn sie krank werden. DER STANDARD: Ihre Partei ist ja da nicht ganz unbeteiligt. Dinkhauser: Die sind gemeinsam im Bett gelegen, im Sozialbett, in der Krankenkasse, im Hauptverband, überall. Die Bundeswirtschaftskammer, die ÖVP. Da war noch alles wunderbar. Die Fehler in der Sozialpolitik sind von der Politik gemacht worden. DER STANDARD: Aber jetzt soll sich ja einiges ändern, siehe Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Dinkhauser: Ich bin auch vollkommen der Meinung, dass man viele Dinge verändern muss und auch kann, das ist keine Frage. Aber jetzt einen Schuldigen zu suchen, um sich selber reinzuwaschen, das finde ich absolut unerhört. DER STANDARD: Wird da die ÖVP nicht von der FPÖ vor sich hergetrieben? Dinkhauser: Das habe ich ihm eh gesagt. DER STANDARD: Wem? Dinkhauser: Dem Schüssel. Er muss aufpassen. Da haben wir die Prinzhörner in der Wirtschaftspolitik und in der Sozialpolitik macht das der Haupt. Ich frag’ mich, wo da die ÖVP bleibt. Ich habe ihm gesagt: Der Klima ist in den Umfragen noch besser gelegen als du, hab ich gesagt, gelt? Aber der ist jetzt in Argentinien. Und da wird es keinen zweiten Platz nicht geben. Man hat uns vor der Wahl auch schon angelogen. Da hat man zu mir gesagt, Dinkhauser, es ist alles in Ordnung. Jetzt haben wir die Pensionsversicherung geregelt, wir haben die Krankenversicherung geregelt, da haben wir halt Opfer bringen müssen. Nix war in Ordnung. Das ist eine Frage der Nachhaltigkeit, der Glaubwürdigkeit der Politik. Man kann sich ja auf nix mehr verlassen. Ununterbrochen kommt eine neue Botschaft. DER STANDARD: Die ÖVP bekennt sich zwar zur Pflichtversicherung, in jüngster Zeit könnte man aber den Eindruck gewinnen, es geht wie in Deutschland in Richtung Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung und letztendlich in Richtung Privatisierung der Krankenkassen. Dinkhauser: Es geht absolut in diese Richtung. Sowieso. Ich glaube, dass man das anstrebt, dass man diese privaten Versicherungsanstalten noch dicker macht. Dasselbe gilt ja auch für die Pension. Meines Erachtens ist das völlig falsch. Wichtig wäre es, dass man die staatliche Säule, die so entscheidend ist, absichert und auch entsprechende Mittel investiert. Jetzt wäre der Zeitpunkt dieser Partnerschaft zwischen Regierung und den Sozialpartnern, dass man gemeinsam versucht einen Weg zu finden, diese Finanzierung der Kassen möglich zu machen. Und das hat mit einem Hauptverband überhaupt nichts zu tun, das ist nur ein Vorwand. Der Hauptverband hat ja rechtlich Null Möglichkeiten Einfluss zu nehmen. Es sind die Kassen ja absolut autonom. Dem Haupt habe ich gesagt, lieber Freund, gelt, wir werden dafür bestraft, dass wir die meisten Mitversicherten haben, dass wir am meisten Touristen haben. Dass passt ja im System nicht zusammen. Da muss man schauen, dass man einen entsprechenden Ausgleich schafft. Wir haben ja da eine halbe Milliarde Minus in Tirol. Aber auch aus diesen Gründen heraus. Wir haben den geringsten Verwaltungsaufwand, da ist nichts mehr zu machen. Man kann noch an dieser Schraube drehen, von mir aus, aber es ist nicht wirklich da ein Geld hereinzubringen. DER STANDARD: Was halten Sie von der Debatte über Beitragserhöhungen, wäre das ein Ausweg? Dinkhauser: Temporär wäre das ein Ausweg. Gelder sind ja da. Da sind Milliarden in der Arbeitslosenversicherung. Es gibt den Familienlastenausgleichsfonds, da wird ja auch Schindluder getrieben. Aber temporär sollte man sich zu Beitragserhöhungen bekennen, weil es sonst den Einzelnen trifft und nicht die Solidarität aller. DER STANDARD: Apropos Solidarität: Es ist auch im Gespräch, die Höchstbemessungsrundlage anzuheben. Dinkhauser: Das ist kein Weg, glaube ich. Wir sind jetzt bei 44.400 Schilling. Ob das jetzt um 1000 oder 2000 erhöht wird, macht das Kraut nicht fett. Ich glaube, dass man das System als solches ändern muss. Man muss das System durchleuchten. Aber man darf nicht die strafen, die es brauchen. DER STANDARD: Wenn Sie sagen, in der Verwaltung ist nichts mehr zu holen, wo dann? Dinkhauser: Nicht bei den Leuten. Wir wurden jetzt angewiesen, den Leuten aus eigener Entscheidung bis zu 30 Prozent der Leistungen wieder zu streichen. Ich habe das abgelehnt und zurückgeschickt. DER STANDARD: 30 Prozent wovon? Dinkhauser: Von den Leistungen. Zum Beispiel: Der fahrt aus dem Zillertal raus, da soll er sich die Fahrtkosten jetzt selber zahlen. Ja, was kann der den dafür, dass er nicht in Wien wohnt und mit dem Straßenbahn hinfahren kann. Alle diese Kosten würden nicht mehr ersetzt werden. Da sollen wir als Selbstverwaltung entscheiden, dass wir zu dem, was wir ihm schon genommen haben, noch was nehmen. Aber das kommt doch gar nicht in Frage. Die sollen das gesetzmäßig entscheiden und uns die Auflage machen, dass wir das tun müssen. DER STANDARD: Freiwillig machen Sie das nicht? Dinkhauser: Nein, bin ich nicht bereit. Dass wir die Schuld auf uns nehmen. Die einen kriegen noch den Kuraufenthalt gezahlt in Salzburg, und jemanden der zufällig etwa in Tirol wohnt, erhält letztlich viel weniger Leistungen, zahlt aber die gleichen Beiträge. Wie kommt denn der dazu? DER STANDARD: Dann wäre es also gerecht, Gelder zwischen den reichen und armen Krankenkassen zu verschieben? Dinkhauser: Da gehört ein vernünftiges, ausgeklügeltes System her. Aber das Schwierigste ist, dass permanent die Politik mithineinbestimmt, was wir zu tun haben. Wenn man die Selbstverwaltung Selbstverwaltung sein ließe, so dass sie sich selbst helfen kann, und nicht die Politik ununterbrochenhineinregiert und dann letztlich mit dem Finger auf einen zeigt und einen schuldig werden lasst, kann man wirklich was daraus machen, davon bin ich überzeugt. Der Sallmutter kann überhaupt nichts tun, der kann höchstens ein paar Vorschläge machen. DER STANDARD: Also totale Selbstverwaltung? Dinkhauser: Die, die Kosten verursachen und die, die sie zahlen, müssen sich an einen Tisch setzen und sich nicht gegenseitig permanent den schwarzen Peter zuschieben. Und die Politik soll sich bitte heraushalten. Es sind ja nicht Beträge der Politik, sondern der Versicherten, der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sich das Werkl selbst finanzieren. Da wird ununterbrochen hineingepfuscht, natürlich ist dann irgendwann das Hemd zu kurz. DER STANDARD: Also soll sich die Politik raushalten? Dinkhauser: Die Politik kann Vorschläge machen, hindert sie niemand. Die alte Regierung war ja genauso schlau wie die jetzige, angeblich. Gemacht haben sie aber nix. (Das Interview führte Michael Völker; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.2.2001)