Die Anrufung der Revolution zieht sich durch alle Gespräche, hin und wieder gesellt sich der Verweis auf die Verfassung dazu: Der Iran aus der Perspektive eines offiziellen Besuchers - in diesem Fall von Außenministerin Benita Ferrero-Waldner und ihrer Begleitung - scheint manchmal reichlich wenig mit der Realität zu tun zu haben. Mehr als die Hälfte der Iraner wurden nach den Ereignissen des Jahre 1979 geboren, für die meisten von ihnen ist eine Politikergeneration, die sie - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - ständig im Munde führt, im besten Fall langweilig. Die Iraner seien in der Schahzeit religiöser gewesen als jetzt, denn das Mullahregime habe ihnen den Islam ausgetrieben, sagt ein älterer Herr. Ein anderer - nach eigener Aussage gläubig - versichert, dass die Herrschaft des Klerus im Iran mit Religion nun wirklich nichts zu tun habe. Davon ist in den offiziellen Begegnungen wenig zu merken, nur hin und wieder blitzt so etwas auf, wenn Ferrero-Waldner - natürlich mit diplomatischeren Worten - den aktuellen Machtkampf zwischen Reformern und Traditionalisten anspricht. Der von Letzteren wegen seiner Liberalität als Kulturminister geschasste Ataollah Mohajerani grinst breit, um dann zu versichern, dass man bis zur Revolution - da ist sie wieder - ein diktatorisches Regime gehabt habe. Dann erklärt er: Eine Diktatur könne man nicht so einfach abschaffen, sie werde im Lauf der Zeit zu einer Infrastruktur und sogar zu einer "kulturellen Eigenschaft", die das Volk in sich trägt. Mohajerani, der "Vater der iranischen Pressefreiheit" seit 1997, die in den letzten Monaten durch eine von den Konservativen dominierte Justiz wieder weitgehend zunichte gemacht wurde, leitet seit seinem Rücktritt eine kulturelle Institution. Er wird weiterhin von ausländischen Gästen aufgesucht wie ein Minister. Aber er ist kein Politiker mehr, im Gespräch mit den Österreichern am Donnerstag wagt er sich weit vor: Im Iran gebe es Gruppen, die lieber Gewalt einsetzten als einen Dialog zu führen. Dass es nicht nur die alte Ideologie ist, sondern auch Junge nachwachsen, und dass das Ganze jederzeit kippen kann, illustriert sein Vergleich mit Deutschland im Jahr 1938: "Lieber schießen als denken." Während sich auf den Straßen Teherans die Menschen angesichts des Comebacks der Traditionalisten gleichsam ducken, strahlt in der Umgebung um Präsident Mohammed Khatami alles Willen zur Veränderung aus. Er empfängt Ferrero-Waldner in Kerman in denkbar einfacher Umgebung und völlig umstandslos. Die ganze Gruppe - inklusive Journalisten - spaziert einfach so, ohne jeden Sicherheitscheck, bei der Tür herein. Jeder, der einmal auch nur in die Vorräume von Revolutionsführer Khamenei gelangt ist und dabei sogar die mitgeführten Bücher und Parfumfläschchen filzen lassen musste, glaubt, in einem anderen Land gelandet zu sein. Khatami ist ein großer Charmeur, die anwesenden Damen (wir erlauben uns nicht, von der Frau Außenminister zu sprechen) finden ihn besonders entzückend. Bedauernd spricht er die Leiden, die man als Nichthabituée mit dem Kopftuch hat, an. Mit seiner - immer noch nicht offiziell angekündigten - Kandidatur für eine zweite Amtsperiode für die Präsidentschaftswahlen im Juni liebt er zu kokettieren: Er nehme so gerne die Einladung nach Wien ein, seufzt er, er werde reisen "als Tourist, mit freiem Kopf" - um der schreckvoll verharrenden Delegation, die ihn schon ganz als "ihren Präsidenten" sieht, beruhigend mitzuteilen, dass er auch gerne als wiedergewähltes Staatsoberhaupt käme. Zum Reformprozess äußert es sich aber klar und deutlich: Wir wollen ihn, die Leute wollen ihn, und Druck von außen und innen sind wir gewohnt. Bei aller Enttäuschung auch über ihn persönlich, weil er sich nicht so durchgesetzt hat, wie es sich viele Iraner gewünscht hätten, zeichnet sich keine Alternative ab. Mohajerani wurde zuletzt als möglicher Kandidat genannt - aber niemand braucht sich Illusionen darüber zu machen, dass er tatsächlich von der konservativen Wahlkommission zugelassen würde. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.2.2001)