Dieser Tage sprach Wolfgang Schüssel vor rund 120 österreichischen Industriellen (dem erweiterten Vorstand und Präsidium der Industriellenvereinigung) über die Erfolge der "Wende", deren heftiger Befürworter die Industriellenvereinigung war und trotz mancher Enttäuschungen immer noch ist. In der Diskussion wurde Schüssel dann vom Altpräsidenten der Vereinigung, Hans Igler, konfrontiert: Es sei ja alles ganz schön, wie etwa ein durch Steuererhöhungen saniertes Budget, aber Schüssel laufe Gefahr, sich in "Punktualismus" zu verzetteln. Da eine Maßnahme, dort eine Maßnahme. Notwendig sei aber ein "Master- plan" für den Standort Österreich mit einer Perspektive des Jahres 2010 - und zwar nach dem Vorbild des holländischen "Polder-Modells", mit dem sich in den Achtzigerjahren der kleine europäische Industriestaat selbst aus der wirtschaftlichen Stagnation zog. Worauf die versammelten Industriellen in donnernden Applaus ausbrachen. Weitere namhafte Diskussionspartner wie etwa der Böhler-Uddeholm-Chef Claus Raidl, ebenfalls ein Befürworter der Wende, forderten ein schlüssiges Konzept ein. Schüssel sagte, die Diskussion habe ihn nachdenklich gemacht. Der Witz dabei ist aber, dass ein solches "Österreich 2010"-Konzept nur unter Einbeziehung der Sozialpartner und der Opposition funktioniert. Die Regierung Schüssel jedoch setzt unter Druck der FPÖ auf eine Zerschlagung der Sozialpartnerschaft und eine Austreibung ihrer Vertreter aus großen Institutionen. Zuerst kam die ÖIAG, dann die Sozialversicherungen, demnächst soll die Nationalbank dran sein usw. Hans Igler selbst hat in mehreren Beiträgen und zuletzt bei einem zu seinen Ehren veranstalteten Symposium der Industriellenvereinigung immer darauf hingewiesen: Letztlich ist auch das holländische Modell eine gemeinsame Anstrengung von Regierung, Opposition, Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewesen, wobei die Maßnahmen sogar in einem "Vertrag von Wassenaar" niedergelegt wurden. Fazit: Ein langfristiger Plan zur Verbesserung des Standortes Österreich kann nur gemeinsam mit den Sozialpartnern durchgezogen werden. Das spricht auch der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Christof Leitl, immer deutlicher aus: zuletzt in einem Gastbeitrag in der Krone. Erleben wir also eine Wende in der Wende? Besonders die Industriellenvereinigung setzte eine Zeit lang auf ein "Durchziehen" der neuen Regierung, ohne Rücksicht auf die Sozialpartner. Frustration mit Gewerkschaftsbeton war der Hauptgrund. Aber inzwischen mehren sich die Zweifel an der Schlüssigkeit der schwarz-blauen Wirtschaftspolitik. Das vorherrschende Konzept ist nicht einmal ideologisch konsistent. Eine dilettantische Axt-im-Walde-Privatisierung bei den ÖIAG-Betrieben und faktische Wiederverstaatlichung (volle Unterstellung unter das FPÖ-besetzte Sozialministerium) bei den Sozialversicherungen - wie geht das zusammen? Die Sozialpartnerschaft war sicher ein Bremsfaktor der letzten Jahre. Aber was vor allem die FPÖ an ihre Stelle setzen will, ist eine Mischung aus Inkompetenz und Modellen, die verdächtig nach üblen historischen Vorbildern riechen. Die Angriffe auf die Sozialpartnerschaft kommen auch nicht gut an. Das hat auch Leitl schon gemerkt: "In Österreich mögen die Leute die Sozialpartnerschaft. Sie hat unser kleines Land groß gemacht, hat mitgeholfen, aus Kriegstrümmern ein blühendes Land zu machen." Kriegstrümmer übrigens, für die eine gewisse "ordentliche Beschäftigungspolitik" verant- wortlich ist, die ihr Lobredner heute noch gut findet. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.2.2001)