"Ich habe gedacht, ich würde nur in einem Beruf wirklich gut sein: Und das ist Rabbiner." Konsequent hat Eveline
Goodman-Thau an diesem Wunsch gearbeitet. Ab März wird sie als Rabbinerin bei "Or Chadasch - Bewegung für
progressives Judentum" in Wien-Leopoldstadt vorerst für ein Jahr tätig sein. Ihr Anspruch: dem Judentum in Europa "Würde
und Stellenwert" zurückzugeben.
Für die Universitätsprofessorin - sie lehrt jüdische Religion und Geisteswissenschaften - wird ihr Wien-Engagement eine Art
Rückkehr sein: Goodman-Thau ist gebürtige Wienerin. Als Vierjährige musste sie nach dem Anschluss Österreichs an
Hitler-Deutschland 1938 mit ihrer Familie fliehen. In einem Versteck in Holland konnten Eltern, Großmutter und die drei Kinder
überleben. Sofort nach dem Krieg hat sie Hebräisch gelernt, um 1956 nach Israel auszuwandern - ihr Vater hatte es
angeraten. Dort hat die Wissenschafterin und Buchautorin auch geheiratet. Heute pendelt die Mutter von fünf erwachsenen
Kindern zwischen Israel (Jerusalem) und Deutschland (Berlin). Nun kommt Wien als Wohnort dazu. Als Feministin habe sie
sich nicht so sehr gefühlt, erinnert sie sich rückblickend, doch sei ihr schnell klar geworden, dass im orthodoxen Judentum
Frauen eine untergeordnete Rolle spielen. Es gehe um die Frage: "Ist man mündig, oder ist man nicht mündig? Ist man
untergeordnet wie ein Kind? Oder soll man geistige Verantwortung übernehmen?"
Ein Signal
Bei "Or Chadasch" kann sie das: Hier sind die Frauen den Männern in allen Belangen gleichgestellt. 160 Mitglieder zählt die
Wiener Gemeinde derzeit. Eine eigene Synagoge gibt es noch nicht - man hofft aber. Die Bestellung von Goodman-Thau - die
nur durch eine Finanzspritze der Gemeinde Wien möglich war - soll auch dafür ein Zeichen sein, meint "Or
Chadasch"-Präsident Theodor Much.
Auch für die Israelitische Kultusgemeinde ist ihr Kommen ein Signal. Denn nicht immer war das Verhältnis der beiden
jüdischen Gruppierungen so entspannt wie heute. Während weltweit der innerjüdische Richtungsstreit zwischen Reformern
und Konservativen anhält, setzt man in Österreich seit ein paar Jahren auf ein "Nebeneinander". Sogar Doppelmitglieder soll
es geben. Daher ist auch Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg sehr bemüht, Ruhe auszustrahlen. Er beschreibt
Goodman-Thau als "interessante, aus der Reihe tanzende" Person und will sie "an ihren Taten messen". Als Rabbinerin kann
er sie freilich nicht anerkennen. Dies, obwohl Goodman-Thau betont, eine orthodoxe Rabbinerausbildung zu haben. "99,9
Prozent der orthodoxen Rabbiner erkennen einen weiblichen Rabbiner nicht an", erklärt Eisenberg und beschreibt sie daher
lieber anders: Sie sei ja "in erster Linie Professorin".
(Peter Mayr/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16. Februar 2001)