Vor allem zwei Dinge werden der bedeutendsten amerikanischen Schauspielerin des 19. Jahrhunderts nachgesagt: Erstens sei sie eine besondere Förderin von Künstlerinnen gewesen, und zweitens sei ihr schauspielerisches Talent am prägnantesten in Männerrollen hervorgetreten. Cushmans innige und auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehung zu Frauen wurde sogar in einem Nachruf des Boston Advertiser vom 19. Februar 1876 beschrieben: "Sie liebten sie mit äußerster Hingabe, und sie erwiderte dies mit dem Reichtum ihres großen, warmen Herzens". Die Bildhauerinnen Harriet Hosmer, Edmonia Lewis und Emma Stebbins zählten zum engsten Kreis der Mäzenin; letztere war ihre langjährige Lebensgefährtin. Dass Cushman unverheiratet blieb und auch sonst keine "Männergeschichten" aufzuweisen hatte, wurde lange Zeit als "Zeichen ihrer unerschütterlichen Tugendhaftigkeit" hervorgehoben (Notable American Women, 1971). Im Gegensatz dazu wird ihre Biografie heute gerade wegen ihrer zahlreichen Frauenbeziehungen als ergiebig für die historische Lesbenforschung herangezogen. Bühnenleben Charlotte Cushman wurde am 23. Juli 1816 in Boston/Massachusetts geboren. Ermutigt durch ihre musikalisch begabte Mutter, nahm sie privaten Gesangsunterricht. Schon mit 20 Jahren trat sie in der Rolle der Almaviva in "Die Hochzeit des Figaro" auf. Einer Opern-Karriere schien nichts im Wege zu stehen, als sie Stimmprobleme bekam und zur Schauspielkunst umsatteln musste. Ihr Debüt auf der Theaterbühne hielt sie 1836 als Lady Macbeth. Ihre ersten populären Rollen mit großem Erfolg hatte sie in der Walter Scott Adaption "Guy Mannering" als Meg Merrilies (1837) und als Nancy in "Oliver Twist" (1839). 1842 wurde sie Managerin des Walnut Street Theaters in Philadelphia/Pennsylvania. Zwei Jahre lang trat sie dort als auch in New York in verschiedenen Rollen auf. Erfolg in Männerrollen Als ihr Fortkommen in den USA zu stagnieren drohte, ging sie 1844 nach Liverpool. Ihr erster Auftritt als Bianca in Henry Milmans "Fazio" in London war ein grandioser Erfolg: "Durch ihre ungeheure Ausstrahlung, Intensität und Leidenschaftlichkeit versetzte sie Publikum und Kritik förmlich in Raserei", wie Luise F. Pusch betont. Im selben Jahr spielte sie Shakespeares Romeo, während ihre Schwester die Julia mimte. Andere berühmte männliche Rollen waren Hamlet und Cardinal Wolsey. Insgesamt hat sie mehr als 30 Männerrollen dargestellt. Am begabesten war sie für Figuren voller Emotion und Komik. Rückzug ins Private 1852 zog sich Charlotte ins Privatleben zurück. Sowohl ihr Londoner Haus als auch ihr Winterdomizil in Rom dienten als Treffpunkt vieler Künstlerinnen, die sie tatkräftig - psychisch als auch materiell - unterstützte. 1869 kehrte sie wegen ihrer Erkrankung an Brustkrebs in ihre Heimatstadt Boston zurück. Um sich von ihrer schweren Krankheit abzulenken, trat sie jedoch weiterhin auf - mit großem Erfolg. Bis zu ihrem Tod am 18. Februar 1876 wurde Charlotte von ihrer Lebensgefährtin Emma Stebbins betreut. Cushman erlag 59jährig ihrem Krebsleiden.