Ob Fischler, Molterer oder auch nur WIFO-Agrarexperte Prof. Matthias Schneider, sie alle müssen sich der ethischen Debatte vor den Mikrofonen der Journalisten stellen. Wenn wir schon zu viele Rinder haben und sie geschlachtet werden müssen, warum verteilt man dann nicht das Fleisch an die Armen dieser Welt, in die Katastrophenzonen und Hungergürtel? So wäre es auch dem Präsidenten des Bauernbundes Georg Schwarzenberger am liebsten, "wenn sich karitative Organisationen zusammentun und dieses überschüssige Fleisch an bedürftige Menschen in Österreich verschenken oder es in Form von Konserven in Entwicklungsländer geliefert werden würde". Es liegt auf der Hand und der Wille zur "Ethik" allen auf der Zunge: Hier gibt es zu viel, dort hungern zu viele. Wer will sich einer solch "guten Idee" (Caritas-Chef Franz Küberl) wohl verweigern? Doch Moral und Ethik sind ein schwieriges Geschäft und nicht in dreißig Fernsehsekunden abzuhandeln. Unsere Überschüsse billig oder geschenkt in die Märkte von Ländern des Südens zu pumpen ist moralisch nicht zu vertreten. Seit Jahren ist es der Stehsatz der Entwicklungspoltitik, dass die Eigenproduktion der Landwirtschaft gestärkt werden muss und Abhängigkeiten abgebaut werden sollen. Kein Bauer in Afrika kann so billig produzieren, um in Konkurrenz zu den "geschenkten" Produkten der westeuropäischen Überproduktion treten zu können. Wenn wir, dank BSE-Tests, schon nicht den Rinderwahn in den Süden exportieren würden, so das Bauernsterben allemal. Familien, die jetzt mit ihrem eigenen Stück Land und der Viehzucht ihr Auskommen finden, würde in jahrelange Abhängigkeit von Hilfslieferungen getrieben werden, oder müssten, wenn der Elan der internationalen Hilfe erlahmt ist und die europäischen Märkte wieder im Lot sind, zu weit teureren Preisen am internationalen Markt einkaufen. Getrübter Blick Das alles sind keine düsteren Visionen, sondern wurde schon x-mal durchgespielt: Man denke an die Weizenberge der USA, die Fleischmassen der EU, oder - vielleicht erinnert sich jemand? - die österreichischen Milchseen nach der Tschernobyl-Katastrophe, die pulverisiert ihren Weg in den Süden zu nehmen suchten. All diese Aktionen waren wohl gut gemeint, doch am Ende wurde das Chaos der Abhängigkeit vergrößert. Der Schleier der vordergründigen Moral trübt auch den Blick auf die technische Machbarkeit. Die europäische Logistik der Lager- und Kühlmöglichkeiten kapituliert vor der Katastrophe des zusammenbrechenden Marktes. Wenn das hochtechnisierte Europa es nicht schafft, wer auf dieser weiten Welt des Mangels soll dann einen solchen Kraftakt setzen können? Als Ausweg erscheint da, die aus der Nachkriegszeit vertraute Dose Corned Beef. Von der allerdings noch niemand sagen kann, wer ihre Produktion, den Transport und die Verteilung bezahlen soll. Kämen die Dosen dann wirklich bei den Hungernden an, zeitigten sie dieselben verheerenden Folgen wie die unmögliche Lieferung von Frischfleisch. Außerdem verkennt die Annahme, Hilfe müsste aus Europa geliefert werden, die tatsächliche Form, in der heute Hilfe im Katastrophenfall geleistet wird. Hunger ist meist kein Problem der Verfügbarkeit, sondern der Verteilung. Hilfsgüter werden vor Ort oder in der Nachbarschaft gekauft, oft zu einem Bruchteil der Kosten, die dafür in Europa anfallen würden. Dadurch wird die lokale Wirtschaft gestärkt und Transportkosten werden gesenkt. Was Hilfsorganisationen brauchen ist Geld und keine Überschussware. Der moralinhältige Diskurs lenkt ab vom Eingeständnis des Versagens unserer Weise, Lebensmittel zu produzieren und ist eher unter dem psychologischen Gesichtspunkt der Schuldverarbeitung zu sehen als unter rationalen Gesichtspunkten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.2.2001)