Wien - Die Geister der Vergangenheit, sie sind noch unterwegs. Die gerichtliche Vorladung des Generals Mirko Norac hat in Kroatien eine Welle nationalistischer Emotionen hochgehen lassen. Mehr als 100.000 Menschen demonstrierten in Split am vergangenen Sonntag gegen eine Auslieferung von Norac an das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Sie stellten sich damit offen gegen die Politik der Regierung von Ministerpräsident Ivica Racan, die in der Zusammenarbeit mit dem Tribunal einen wichtigen Weg aus der Isolation des Landes sieht. "Wir wollen nicht, dass die Region als Schicksal gesehen wird", sagt der kroatische Vizeaußenminister Mislav Kukoc. Kroatien gehöre zu Mitteleuropa, zum mediterranen Raum und zu Südosteuropa. Das Wort "Balkan" vermeidet er konsequent. Die vor einem Jahr angetretene neue kroatische Führung sei zur Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal bereit, lehne aber eine Kollektivschuld für die gesamte Armeeführung während des Krieges mit Jugoslawien 1991 ab. "Wenn einzelne Personen Verbrechen begangen haben, ist es notwendig, dass sie bestraft werden. Aber es kann nicht die ganze Armee beschuldigt werden." In der kroatischen Gesellschaft genieße die Armee hohes Ansehen. "Wir haben einen Defensivkrieg gegen eine serbische Aggression geführt", betont Kukoc. Umso mehr würde es Ressentiments schüren, wenn die neuen Machthaber in Jugoslawien nun eine Auslieferung des ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic, "des Hauptverantwortlichen für alle Kriege", verweigern würde. Es dürfe nämlich nicht der Eindruck entstehen, dass "die internationale Gemeinschaft ein unterschiedliches Maß" anlege oder toleriere. "Die Proteste sind von der Opposition geschürt" Kukoc stellte klar, dass kein Auslieferungsbegehren von Den Haag im Fall Norac vorliege. Die Proteste seien von der Opposition geschürt, die sich dabei der Frustration eines Teiles der Bevölkerung bediene. Er erinnerte aber daran, dass die Gesetze zur Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal bereits unter der alten Regierung der nationalistischen Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman beschlossen worden seien. Auf dem Weg aus der Isolation ist für Kroatien der Abschluss eines Assoziationsabkommens mit der EU ein erstes großes Ziel. Zagreb hofft auf eine Fertigstellung der Verträge bis Juni. Danach wolle man sich um die Mitgliedschaft in der Union offiziell bewerben. Bis 2006 will Kroatien alle Anforderungen für eine EU-Mitgliedschaft erfüllen. Zweites großes Ziel ist der Beitritt zur NATO, mit der Kroatien bereits in der "Partnerschaft für Frieden" verbunden ist. Einen weiteren Zerfall Jugoslawiens infolge der Unabhängigkeitsbestrebungen Montenegros und der ungeklärten Zukunft des Kosovo würde Zagreb als "interne Angelegenheit Belgrads betrachten", meine Kukoc. "Wir würden das nicht ermutigen", meint er. Vehement warnt er aber davor, Serbien nach einer eventuellen Abspaltung Montenegros mit der Republika Srpska in Bosnien zu "kompensieren": "Wir wollen, dass Bosnien-Herzegowina ein einheitlicher Staat in seiner heutigen Form bleibt". Der kroatische Botschafter in Wien, Drazen Vukov Colic, ergänzt: "Wir unterstützen das Prinzip der Selbstbestimmung, aber wir brauchen Frieden in unserer Region. Sofern sie friedlich zustande kommt, werden wir jede Lösung unterstützen". Für Verbitterung sorgt auf kroatischer Seite, dass mit General Momcilo Perisic ein Mann der neuen serbischen Regierung angehört, der 1991 für die Angriffe auf Zadar verantwortlich war und in Kroatien in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden ist. Man könne vorerst nur "hoffen, dass die neue serbische Führung ihre Politik so ändern wird, wie das (der montenegrinische Präsident Milo) Djukanovic getan hat. Wir können aber nicht sicher sein, dass das geschehen wird", meint Kukoc. Österreich sieht man in Kroatien nicht nur als alten Freund und Verbündeten aus der Zeit der Auflösung Jugoslawiens. Beim bevorstehenden Besuch von Präsident Stipe Mesic wolle man die bestehende Freundschaft gar zu einer "strategischen Partnerschaft" aufwerten, sagt Vukov Colic. "Wir haben die gleichen Ziele, Werte und Ideale in einem gemeinsamen Europa. Das ist es, was eine strategische Partnerschaft ausmacht." (APA)