Die Wende zum Jahr 2000 ist mehr als die übliche Angst vor dem Jüngsten Gericht, wenn ein neues Jahrhundert anbricht. Sogar die Optimisten, die nicht an das Ende der Welt glauben, erwarten ein paar Schlaglöcher auf ihrem Weg. Die Informationstechnologie, ein Segen, der täglich besungen wird, ist dazu angetan, das Fest zu stören. Zahlungssysteme können zusammenbrechen, Transportsysteme auch, Sicherheitseinrichtungen können aus dem Rhythmus kommen.
Leere Geschäfte und Banken sind wahrscheinlich das geringste Übel, das auf uns zukommt. Sollten wir uns rechtzeitig aus den Finanzmärkten zurückziehen und unser Vermögen in Bargeld umwandeln? Nahrungsvorräte einrichten und Daumen drehen, bis die Phase der Unsicherheiten vorüber ist?
Die Vorbereitungen auf Y2K (englische Formel "Year-two-Kilo" für das Jahr 2000 - Anm.) unterscheiden sich beträchtlich in den verschiedenen Teilen der Welt. Studien belegen, dass die USA am besten gerüstet sind, Japan sehr wenig, und die sogenannten Emerging Markets im Grund gar nicht.
Nachschubprobleme
In der Beurteilung der Y2K-Auswirkungen auf die Wirtschaft ist es nützlich, festzustellen, was passieren könnte und wie sich die Menschen tatsächlich in Erwartung dieser Prognosen verhalten. Zwei wichtige Bereiche kommen ins Spiel, Produktion und Lagerbestände einerseits, Finanztransaktionen andererseits. Was Produktion und Vorräte anbelangt, ist die Sache einfach: Unternehmen befürchten Versorgungsengpässe von Zwischen- und Endprodukten, und füllen daher ihre Lager. Falls mit dem Nachschubsystem etwas passiert, sitzen sie nicht auf dem Trockenen. Das bedeutet, das die Produktion kurz vor dem Jahr 2000 steigt, und zu Beginn des neuen Jahres nachlässt bei gleichzeitigem Rückgang der Vorräte. In den USA schätzt man diese Auswirkungen auf ein Drittel des Brutto-Inlandsproduktes (BIP), nicht gerade wenig.
Vorräte anlegen
Was der Geschäftswelt recht ist, kann den privaten Haushalten nur billig sein. Wer will schon vor leeren Regalen sitzen. Wir wissen das aus Erfahrung? Wenn ein Schneesturm oder ähnliches droht, füllen die Haushalte ihre Vorratskammern. Dieses Mal werden sich es noch mehr tun, da niemand das Ausmaß und die Dauer des Problems voraussagen kann. Aber stellen wir uns vor, es kommt alles anders. Stellen wir uns vor, die Haushalten planen nicht voraus und füllen ihre vorratskammer nicht. Das würde zu Überproduktion und vollen Lagern führen und damit zu einem drastischen Produktionsrückgang anfang 2000.
Wichtiger ist die Frage der Finanzmärkte und Zahlungssysteme. Stellen wir uns vor Wall Street müsste schließen, weil das System zusammenbricht - Schulden werden nicht bezahlt, Zahlungen können nicht durchgeführt werden, die Empfänger sind nicht liquid und daher nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen. In kürzester Zeit käme das Finanzsystem zum Stillstand.
Die Haushalte und Unternehmen werden alles tun, um das zu verhindern. Sie werden Anleihen vermeiden, die in der kritischen Zeit auslaufen; man wird an Unternehmen keine Kredite vergeben, die möglicherweise nicht zu Rückzahlungen in der Lage sind. Mit Sicherheit wird man möglichst viel Bargeld halten, um liquid zu sein. Und da sich in den kritischen Tagen die meisten von den Märkten fernhalten, werden diese ziemlich mager sein. Dieser Mangel an Liquidität bedingt, dass Unternehmer, die am ersten Tag des Jahres 2000 Geld borgen müssen, keinen Geldgeber finden werden.
Was können die Politiker tun um die Situation zu retten? Sie könnten natürlich die geforderten Summen in Bargeld zur Verfügung stellen. Das tun sie zu Weihnachten sowieso, doch diesmal müssten sie den Hahn viel stärker aufdrehen. Darüber hinaus kann die Notenbank die Garantie für Kreditinstitute übernehmen, um eine Finanzkrise abzuwenden.
Das Liquiditätsrisiko von Y2K ist real; die einzig richtig Antwort sind langfristige Obligationen und Aktien; Bargeldvorrat, nicht zuletzt weil die Bankomaten wahrscheinlich leer sein werden. Man kann davon ausgehen, dass die Finanzbehörden größere Probleme verhindern können. Die Märkte werden nicht einbrechen, es wird keine Vertrauenskrisen geben oder einen Run auf Banken. Es ist nicht notwendig, Aktien und Obligationen abzustoßen.
Y2K könnte man mit einem schweren Schneesturm vergleichen - das Leben einer Stadt ist ein paar Tage lahmgelegt, es passiert nicht viel. Sorgen bereiten könnten staatliche Einrichtungen, vor allem der öffentliche Verkehr und militärische Anlagen. Die Chinesische Führung hat verfügt, dass alle Manager der Fluglinien um Mitternacht in der Luft sind, um sich auf diese Weise auf die Sicherheit zu konzentrieren. Aber auch diese Ängste sind wahrscheinlich übertrieben. Was passiert, wenn die Post für eine Woche schließt - die US-Regierung war im vergangenen Jahr länger als eine Woche außer Betrieb und niemand hat sich darüber wirklich aufgeregt.
Tatsächlich gibt es nur wenige Länder, die so sehr auf die Informationstechnologie angewiesen sind wie die USA. Für die meisten unter ihnen ist Y2K kein Thema. Alles wird wahrscheinlich so unspektakulär ablaufen, wie die Einführung des Euro am 1. Jänner 1999.
Rudi Dornbusch ist Professor für Wirtschaftswissenschaften am MIT in Boston.
© Project Syndicate, Prag 1999