Die Gefahr einer weiteren Eskalation der Gewalt vor Augen, haben sich in Israel die Exgeneräle und politischen Rivalen Ariel Sharon und Ehud Barak auf die Bildung einer Koalition geeinigt. Befürworter dieser Lösung glauben, dass Barak mit seinem Labour-Kollegen Shimon Peres in der Regierung die "Aufpasser" für den Likud-Hardliner Sharon spielen und die internationale Kritik am neuen Premier mildern könnten. In Israel, auch in der Arbeiterpartei, die noch zustimmen muss, wird Baraks jüngste Kehrtwende heftig kritisiert: Der Wahlverlierer habe nun jegliche Glaubwürdigkeit verloren. In der arabischen Welt blieb man bei dem nach den Wahlen ausgemalten Bedrohungsszenario, wonach der Region eine Katastrophe drohe, weil die Israelis "für den Krieg gestimmt" hätten. Düstere Prophezeiungen haben sich im Nahen Osten in der Vergangenheit schon öfters erfüllt, doch hat sich seit früheren Waffengängen zu viel geändert, als dass es nun zwangsläufig zu einer neuerlichen Eruption kommen muss. Zunächst ist schon die Prämisse falsch, dass die Bevölkerung Israels "den Krieg gewählt" habe. Nach vielen Analysen waren es der für alle sichtbare Wankelmut Baraks und der Maximalismus der Palästinenser, die das Friedensprojekt fürs Erste scheitern ließen. Obwohl ihm Barak einen Staat auf 95 Prozent des Westjordanlandes und im Gazastreifen sowie die Oberhoheit über die islamischen Heiligtümer in Jerusalem zugestanden hat, wollte Arafat mehr: das - zumindest theoretische - Rückkehrrecht für fast vier Millionen vor allem in der arabischen Welt verstreute palästinensische Flüchtlinge nach Israel. Solch eine Revision einer tragischen, aber nicht mehr umkehrbaren historischen Entwicklung wäre nicht nur den Wählern Israels zu viel. Die Tschechen würden auf ein von den Sudetendeutschen gefordertes Rückkehrrecht kaum anders reagieren. Die Angst, dass ein einziger Fehler in Sicherheitsfragen das Ende ihres Staates bedeuten könnte, ist unter Israelis stark verwurzelt. Das ist die Stunde für einen "starken Mann" der Rechten, der ihnen Sicherheit verspricht. Optimisten erinnern an Männer wie de Gaulle, der in den Sechzigerjahren Frankreichs Abzug aus Algerien durchsetzte, wie Nixon, der in den Siebzigern den Krieg in Vietnam beendete, oder wie Begin, der wenige Jahre später Israels Truppen von der Sinai-Halbinsel zurückzog. Doch obwohl Sharon die Genannten als Vorbilder bezeichnet, traut ihm kaum jemand derartigen Realismus zu. Tatsächlich hat er ja 1982 versucht, die PLO im Libanon militärisch vernichtend zu schlagen. Und eine Mitverantwortung dafür, dass christliche Milizen in den Palästinenserlagern Sabra und Shatila Massaker anrichteten, gab ihm sogar ein israelisches Gericht. Doch das erste Ziel der PLO war ja auch die Zerstörung Israels. Arafat scheint sich inzwischen mit der Existenz Israels abgefunden zu haben. Ob aber Sharon bereit ist, ihm ein akzeptables Angebot zu machen, ist fraglich. Sein Plan eines Mini-Palästinenserstaates aus nicht zusammenhängenden Gebieten auf 42 Prozent des Westjordanlandes und weniger als zwei Dritteln des Gazastreifens ist kein solches Angebot. Selbst wenn sich Arafat darauf einließe, würde er wohl von radikaleren Palästinensern hinweggefegt, die Region stürzte in Terror und Chaos. Ein Nahostkrieg ist dennoch wenig wahrscheinlich, weil die arabischen Staatschefs wissen, dass sie ihn gegen die Militärmacht Israel nicht gewinnen können. Und Israel weiß inzwischen, dass Siege und Besetzungen die Probleme nur noch vergrößern. US-Präsident George W. Bush wird, wegen seiner Verbundenheit mit dem Ölgeschäft, größeres Verständnis für die Araber nachgesagt. Israel Befehle erteilen kann er aber nicht. So lässt sich im Moment nur hoffen, dass der Realismus beider Seiten zumindest eine Steigerung der Gewalt verhindert, bis nach einiger Zeit die Suche nach einer politischen Lösung - der einzig logischen - wieder aufgenommen werden kann.