Wien - Johanna Jauck wohnt im Erdgeschoß, trotzdem trennen sie die sechs Stufen zur Haustüre von der Außenwelt. "Mit dem Gehwagerl komm' ich da nicht runter", erzählt die zierliche Pensionistin im kornblumenblauen Schlafrock. Nur einmal in der Woche verlässt sie auf der Krücke ihre Einzimmerwohnung: Am Samstag isst sie im Pensionistenclub "Gemütlicher Simmeringer", der zum Glück gleich gegenüber liegt.

An fünf Tagen in der Woche bekommt die allein stehende Frau von Silvia Pucher ihr pasteurisiertes "Essen auf Rädern"-Menü geliefert, das sie sich im "Mikroherd" aufwärmt. Zeit zum Plaudern bleibt den beiden Frauen wenig, schließlich muss Pucher mit einer Kollegin an einem Vormittag 50 Essen zeitgerecht ausliefern, in ganz Wien werden rund 6000 Personen beliefert. "Mehr als ein ,Hallo, wie geht's' ist da oft nicht drinnen", erzählt Pucher. Trotzdem entwickelt sich im Laufe der Jahre eine Beziehung zur Kundschaft. "Manche machen gar nicht erst auf, aber die meisten freuen sich über ein paar Worte zwischen Tür und Angel."

Zwiebelsuppe, Ragout

Johanna Jauck bezieht seit mehr als zehn Jahren ihr "Essen auf Rädern". Nach Hüftoperationen und mit gichtigen Händen wartet sie seit sieben Jahren vergebens auf einen Heimplatz. "Früher war ich in der Näherei vom Sacher, jetzt kann ich mir nicht einmal einen Knopf annähen", seufzt die alte Frau, der eine Heimhilfe das Notwendigste im Haushalt abnimmt. Zu Zwiebelsuppe, Putenragout mit Nockerln, grünem Salat und Tiramisu bekommt Frau Jauck am Mittwoch auch eine kleine Torte geliefert. Schließlich wird sie am Donnerstag 87.

Alternative zu dem grün (Normal), rot (Diabetiker), blau (leichte Schonkost), gelb (vegetarisch) oder gepunkteten Essenspaket (Angebot der Woche) sieht die alte Frau mit knapp 8000 Schilling Pension keine. Die Essensanlieferung nur mehr einmal die Woche kann sie sich nicht vorstellen: "Der Eiskasten ist ja viel zu klein und ein größerer würd' ja gar nicht reinpassen in die winzige Küche."

Reduzierte 47 Schilling zahlt Frau Jauck pro Menü, den Gesamtbetrag für eine Woche muss Frau Pucher jeweils am Montag einkassieren. Die Zustellgebühr von maximal 18 Schilling wird von der MA 47 (Betreuung zu Hause) via Erlagschein eingezogen.

"Lustig ist das Einkassieren nicht", erzählt Ilse Schlesinger, Frau Puchers Teamkollegin, die seit 14 Jahren für "Essen auf Rädern" arbeitet. "Die meisten haben es schon vorbereitet, aber einige finden es dann partout nicht, und Du sollst immer freundlich bleiben." Keine 5000 Schilling verdient die Mutter zweier erwachsener Kinder mit den Essensfahrten, "nicht mehr als ein Zubrot". Die Geduld verliert sie trotzdem nicht.

Sammelleidenschaft

Nicht mit Maria F., die Parkinson hat und oft länger braucht, bis sie die Wohnungstür findet, und nicht mit Johanna U., die ihre Türe im Gemeindebau in Simmering oft nur einen winzigen Spalt breit aufmacht. Nicht aus Misstrauen, sondern weil sie mit einer fast unbezähmbaren Sammelleidenschaft alles hortet, was ihr wertvoll erscheint. Nicht einmal der Putzdienst, der alle drei Monate vorbeischaut, konnte ihr bisher den Weihnachtsbaum abringen, aber Frau Schlesinger hat schon mit sicherem Griff die Essensbox vom Vortag geschnappt.

Manchmal kann es auch vorkommen, dass jemand die Tür gar nicht mehr aufmacht. "Vier- bis fünfmal ist mir das in zehn Jahren passiert", erinnert sich Frau Pucher. "Dann ruf' ich zuerst im Büro an. Die haben die Nummern von Angehörigen, wenn es noch welche gibt." Dann ruft sie die Polizei, die verständigt Feuerwehr und Rettung. "Angst und Bang' wird's einem da schon, und ich denk mir dann: Hoffentlich hab' ich's einmal besser." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 2. 2001)