Das Millennium ist bisher vor allem als Katastrophenszenario in Erscheinung getreten, als "Millennium-Bug", dem Synonym für den Absturz veralteter Computersysteme durch den Ziffernsprung von 1999 auf 2000. Allmählich nimmt der Millennium-Bug in der Rhetorik jedoch apokalyptische Dimensionen an.

Die Lage ist ernst, das Problem zu spät angegangen worden, und die Flugreisen rund um den Globus zu Silvester 1999 erscheinen aus heutiger Sicht wenig verlockend. Aber die Vorstellung, dass unzureichende Computersysteme wie allmächtige Gottheiten über den Fortbestand der Zivilisation entscheiden, ist grotesk.

Der "Bug" ist die populäre moderne Spielart des Millennarismus: Religion und Technik gehen eine symbiotische Verbindung ein. Hinter dem vermeintlich technischen und rationalen Diskurs verbirgt sich eine zutiefst irrationale Ebene.

Katastrophen-Mode

An ihr kann man auch Apokalypse-Moden ablesen. Die Bewegung der Survivalists, die in den USA wieder massiven Zulauf hat, fürchtet nicht mehr Atomkrieg und ökologische Katastrophen, sondern den Computercrash. Hauptsache, man findet einen Grund, um sich in Erdhöhlen zu verkriechen und Vorratslager mit Wasser, Essen und Büchern anzulegen.

Kein Wunder, dass Experten wie der Historiker und Endzeitforscher Richard Landes vom Center for Millennial Studies an der Boston Universität die Panik vor dem großen Absturz am 1. Jänner 2000 mit der Angst vor dem Jahr 1000 vergleicht. Oder besser gesagt, mit den Legendenbildungen und Dichtungen darüber.

Das Jahr 1000 hat die Fantasie vieler Historiker beflügelt. Die verbreitetste These lautete: Die Völker Europas seien angesichts des nahenden Millenniums von Panik ergriffen worden und hätten sich geradezu lustvoll der Erwartung des Weltuntergangs hingegeben.

Um diesen erzählerischen Kern gruppieren sich apokalyptische Ensembles von hohem dramatischem Gehalt. Die Angst, vor dem himmlischen Gericht wegen sittlicher Vergehen belangt zu werden, scheint den Menschen damals besonders im Nacken gesessen zu sein.

Viele der Sagen, die sich um das Jahr 1000 ranken, drehen sich um einschlägige Themen. Eheleute verzeihen einander den Ehebruch, Grundherren erlassen den Bauern ihre Lasten - die Angst vor der Endzeit wird als eine Kraft geschildert, die in Erwartung des Millenniums paradiesische Zustände unter den Menschen erzeugte. Zeugnisse wie diese erzählen wenig über das Jahr 1000, aber viel über die Fantasien und Projektionen der späteren Generationen. Subjektive Wertorientierungen, Vorlieben und Obsessionen verzerren den Blick zurück. Denn die Schimäre des ominösen Jahres 1000 und die Legenden darum entstanden erst im Nachhinein.

Heute muss die Legendenbildung vorher passieren, Doomsday-Dichtungen beleben mit großem Erfolg den Medienmarkt. Die Apokalypse hat zumindest doppelten Boden: Das Wort ist nicht unbedingt nur im Sinn von Weltende und Untergang zu lesen, sondern es kann ebenso die Überschrift für ein Action-Script sein. Nach gängigen Katastrophenszenarien könnte das digitale Chaos etwa dazu führen, dass Hundertjährige auf den Eintragungslisten für Volksschulen auftauchen, Kleinkinder Pensionen bekommen, Lifte und Flugzeuge den Dienst aufgeben. Wenn das kein Stoff für eine österreichische Komödie im bewährten Holzhammerstil ist.

Dieser irrationale Zugang zum Konstrukt Millennium ist wie die Verweigerung, über die Zukunft zu sprechen. Es gäbe neben der Hysterisierung und dem Hype auch noch die Möglichkeit, ganz altmodische Dinge zu tun wie Nachdenken, Bilanz ziehen, Szenarien, die mit dem Alltagsleben und nicht mit der großen Untergangsangst etwas zu tun haben, zu entwickeln. Eine blockhafte Zahl 2000 hat psychologisch die Funktion einer Demarkationslinie. Man macht reinen Tisch.

Gehen wir davon aus, dass die digitale Apokalypse nicht eintritt. Die Beschwörungen über den Millennium-Bug und seine Folgen könnten sich auch als große Blamage erweisen. Denken wir an das Jahr 1000: Was werden die über uns schreiben, die nach uns kommen?

Andrea Hurton ist Sachbuchautorin. Zuletzt erschien "100 Tage bis zur Zukunft. Moden und Trends am Vorabend der Jahrtausendwende" im Econ Verlag, 1998.