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Wien - Säumigen Mietern droht, so sieht es die für März geplante Novelle des Miet-und Zivilverfahrensrechts vor, möglicherweise bald die Express-Delogierung. Geht es nach den Plänen des Justizministers, bedarf es künftig nicht mehr der Zwischenschaltung des Gerichts oder der Gemeinde, falls der Vermieter den Kündigungsgrund mangelnder Zahlung der Miete aufgreift. Verzichten die im doppelten Sinn säumigen Mieter binnen vier Wochen auch auf ein Rechtsmittel (Einspruch, der dann wohl ein Gerichtsverfahren auslösen müsste), soll die Kündigung rechtswirksam werden und die Delogierung auf den Fuß folgen können. Dieser unter dem euphemistischen Titel "Vereinfachung von Räumungsverfahren" firmierende Gesetzesentwurf dürfte aber abgesehen von der heftigen, rechtspolitischen Kritik, die er ausgelöst hat, auch ohne jede Rücksicht auf die Bundesverfassung und die Menschenrechtskonvention (EMRK) erdacht worden sein. Grundrechtseingriffe Denn eine Delogierung von Mietern greift gleich in zweifacher Hinsicht in Grund- und Menschenrechte der Betroffenen ein. Nicht nur der Eigentümer, sondern auch der Bestandnehmer (Mieter, Pächter) ist durch das mehrfach verankerte, auch Nichtstaatsbürgern eingeräumte Eigentumsgrundrecht (Artikel 5 Staatsgrundgesetz, Art 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK) in seiner Rechtsposition geschützt. Eingriffe müssen dem öffentlichen Interesse entsprechen und sind am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen. Allgemeinwohl Dienen nun zwar die Verfahrensbeschleunigung und der Schutz des Gläubigers beziehungsweise des Vermieters, der einen legitimen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Mietzinses hat, grundsätzlich dem "allgemeinen Besten", so steht die Rechtsfolge der Delogierung - ohne weiteres Verfahren bei Unterbleiben eines Rechtsmittels - offensichtlicherweise in keiner Relation zum genannten rechtspolitischen Ziel und ist in verfassungswidriger Weise überschießend. Zu diesen Bedenken kommt aber im Lichte des Eigentumsgrundrechts und des - gleichfalls verfassungsrechtlich gewährleisteten - Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens (Artikel 8 EMRK) noch ein weiteres, vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte immer wieder angesprochenes Argument: Eingriffe in die Wohnung und in die Privatsphäre dürfen niemals ohne ein vorgeschaltetes, förmliches Verfahren stattfinden, in dem die Betroffenen ihren Rechtsstandpunkt darlegen und auf eventuelle Irrtümer oder zum Beispiel auf Fehler bei der Zahlungsabwicklung (zum Beispiel der Bank) hinweisen können. Besteht dieses - angesichts des geplanten "Einspruchs" binnen vier Wochen vorderhand nicht gesicherte - Verfahrenselement nicht, sind auch Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht in Zivilrechtsangelegenheiten (Artikel 6 EMRK) nicht auszuschließen. Zudem gebietet die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zum Legalitäts- beziehungsweise Rechtsstaatsprinzip, dass ein effizientes Rechtsmittel zur Verfügung stehen muss, das - möglicherweise nicht mehr rückgängig zu machende - Eingriffe (Delogierung!) in die Rechte der Betroffenen zu verhindern geeignet ist. Da es denkbar erscheint, dass etwa durch Krankenhausaufenthalt oder urlaubsbedingte Abwesenheit die Einspruchsfrist versäumt wird, kann ein dadurch erfolgender Ausschluss der effizienten Bekämpfung einer rechtswidrigen Delogierung genau diesen verfassungswidrigen Effekt haben. Vorstoß verwundert Der Vorstoß des Justizministers verwundert umso mehr, als bei Verfahrensnovellen des letzten Jahrzehntes, in denen der Grundrechtsbezug keineswegs so offensichtlich war wie bei der jetzt geplanten, von den Legisten des Bundesministeriums für Justiz durchaus sorgfältig vorgegangen wurde. In bestimmten Fällen (zum Beispiel anlässlich der erfolgreichen Implementierung des automationsgestützten Exekutionsverfahrens durch die EO-Novelle 1995) wurden sogar ausführliche Gutachten zu den hier angeführten Verfassungsregelungen eingeholt. (ao. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Strejcek, Der Standard, Printausgabe, 20.02.2001)