Wien – Eine ernüchternde Bilanz zu "100 Tagen Forstinger" zog der Vorsitzende der Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE), Wilhelm Haberzettl, am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Haberzettl kritisierte an der Infrastrukturministerin (Monika Forstinger, FPÖ) ihre Vorgangsweise bei den ÖBB-Gremien Vorstand und Aufsichtsrat, bei der Budgetkürzung für die Bahnhofsoffensive sowie die in Diskussion stehende Aufteilung der ÖBB, wofür allerdings die ÖVP hauptverantwortlich zeichne, die damit die letzte sozialdemokratische Hochburg in Österreich deutlich schwächen wolle. In der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik seien derzeit alle zukunfts- und ökologisch orientierten Elemente zu vermissen, womit Forstinger die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs gefährde.
Gefährliche Drohung
"Weitere 1.077 Tage mit Frau Bundesministerin Forstinger fasse ich als gefährliche Drohung auf", sagte Haberzettl. Der Gewerkschaftschef warf der Infrastrukturministerin vor, dass sie "politische Ausgleichshandlungen" setze, statt als Eigentümervertreterin die Interessen der ÖBB zu wahren. Für die Neubestellung des ÖBB Vorstandes ab Mitte 2001 sei die Ausschreibung so unpräzise gefasst worden, dass ein Bewerber schon eine "bestimmte Abenteuerlust" haben müsse, um ein Vorstandsmandat ohne zeitliche Befristung und ohne festgelegte Zahl der Vorstandsmitglieder anzustreben. Mangels qualifizierter Bewerbungen könnte auch der derzeitige Vorstand unter Helmut Draxler eingeladen werden, eine weitere Amtsperiode zu absolvieren.
Arbeitsplatzverlust
Auf Probleme wies Haberzettl in den beiden ÖBB-Absatzbereichen hin. Unter Personenverkehrschef Gerhard Stindl habe sich das Service verschlechtert, aber die Preise erhöht. In das "rollende Material" sei dafür wenig investiert worden. "Wir werden bald dafür die Rechnung im Nahverkehr präsentiert bekommen", sagte der Gewerkschaftschef. Im Güterverkehr, bei dem Geschäft und Strategie unter Anton Hoser grundsätzlich "in Ordnung" seien, drohe für rund 150 invalide Beschäftigte – Arbeitsunfall-Versehrte – nach der angepeilten Umstrukturierung der Verlust des Arbeitsplatzes.
Eine Aufteilung der ÖBB, wofür drei Modelle kursierten, werde von der EU nicht vorgeschrieben, es würde das (von Draxler forcierte) Holding-Modell für die Bahnliberalisierung ausreichen. Eine Aufteilung der ÖBB (in eine Infrastruktur- und zwei Absatzgesellschaften), wie dies in einer Arbeitsgruppe mit den ÖVP-Ministern Martin Bartenstein und Wilhelm Molterer erörtert werde, würde nach vorsichtigen Berechnungen mindestens eine Mrd. S kosten, wahrscheinlich sogar deutlich mehr.
"Abenteuerlicher ZickZackkurs"
Nicht nur im Infrastrukturbereich ortet Haberzettl "einen abenteuerlichen Zickzackkurs" von Forstinger, sondern beispielsweise auch bei der um rund 4 Mrd. S gekürzten Bahnhofsoffensive. Den Bahnkunden würden, bei gleichzeitigen Tariferhöhungen, Bahnhöfe in katastrophalem Zustand zugemutet.
Beim Infrastrukturausbau plädierte Haberzettl – wie bereits der ÖBB-Vorstand – für eine möglichst rasche Fertigstellung des "Fleckerlteppichs" Westbahn. Damit könnten weitere 15 bis 20 Minuten eingespart und die Fahrzeit Wien-Salzburg gegenüber früher um eine halbe Stunde verkürzt werden. An die Realisierung des Semmering-Basistunnels glaubt Haberzettl nicht mehr, "da dafür einfach der politische Mut fehlt". (APA)