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Die DDR-Führung und der Geheimdienst hatten sich für die 68er-Bewegung in Westdeutschland interessiert. "Natürlich war diese Bewegung ein großes Plus für uns. Man konnte viele junge Leute für uns gewinnen", sagte der frühere DDR-Spionagechef Markus Wolf. Rainer Rupp, der später als Spion "Topas" im Nato-Hauptquartier enttarnt worden war, "ist ein Ergebnis davon", berichtete Wolf im Gespräch mit ausländischen Korrespondenten. Verbindungen zur RAF seien vermieden worden. "Von mir gab es den Befehl: keine Kontakte zur RAF. Wir wollten mit Terroristen nichts zu tun haben. Das war viel zu gefährlich, denn es war klar, dass sich die westdeutsche Polizei darauf stürzte." Mit Interesse habe man dagegen die Entwicklung der Grünen verfolgt, so Wolf. "Im ZK (Zentralkomitee der SED, Anm.) wurde erkannt, dass die Grünen ein potenzieller Verbündeter sein könnten gegen westdeutsche Strukturen. Aber sie waren auch ein Potenzial für die Unterstützung der Bürgerrechtler in der DDR." Deshalb wurde ein Einreiseverbot für führende Grüne wie Petra Kelly verhängt, für dessen Aufhebung er sich eingesetzt habe. Zu den "exponiertesten Grünen" habe es keine direkten Verbindungen gegeben, so Wolf. Dass Christian Ströbele, Wortführer des linken Flügels der Grünen, Kontakt zur DDR- Führung gesucht habe, wie eben aufgetauchte Stasi-Akten zu dokumentieren scheinen, davon wisse er nichts. Wolf vermutet hinter den Ermittlungen gegen Ex-68er wie Außenminister Joschka Fischer ohnehin nichts anderes als Rache. Er erwartet auch keine großen Enthüllungen oder Aufdeckungen von Spionen mehr, auch nicht durch die Dekodierung der "Rosewood"-Dateien, die der US- Geheimdienst CIA in der Wendezeit nach Amerika gebracht hat und über deren Rückgabe an Deutschland noch verhandelt wird. "Es steckt keine ernste Sache mehr dahinter." Wolf hebt im Gespräch mit dem Standard hervor, wie wichtig Wien als Drehscheibe für Agenten war. Allerdings spricht der 78-Jährige, der sich als Schriftsteller betätigt, von "Kundschaftern", weil "das ein schöneres Wort ist". Österreich sei "viel interessanter als die Schweiz" gewesen, weil dort strengere Bestimmungen bei der Einreise herrschten. Aber auch wenn es darum gegangen sei, "sich etwas auf inoffiziellem Wege zu beschaffen", habe Österreich eine große Rolle gespielt: "In Wien hatten wir die Möglichkeit, technische Büros einzurichten. Darüber konnten wir auch Geräte aus Amerika oder anderen Ländern besorgen, die auf der Embargoliste standen und die wir sonst nicht bekommen hätten. Aber über Wien ging das." Welche Geräte? "Mikroelektronik, Bauelemente oder Computertechnik. Die hatten häufig auch eine militärische Bedeutung." Treffpunkt Sacher Er selbst sei auch häufiger in Wien gewesen. Wie oft Kundschafter dorthin geschickt wurden, will er nicht sagen. Zum Ort des Treffens nur so viel: "Da gab es eine Firma Sacher, darüber ist viel geschrieben worden." Wien war auch der Ort, wohin er sich geflüchtet hat, als ihm nach der Wiedervereinigung 1990 die Verhaftung gedroht hatte: Da er nicht nach Moskau gewollt habe, wollte er eigentlich eine Einladung eines befreundeten Rabbiners nach Israel annehmen. "Ich dachte, das ist ganz witzig, wenn ich in Deutschland verhaftet werden sollte, und ich halte mich in Israel auf." Doch der Freund teilte ihm kurz vor der Abreise mit, er dürfe nicht einreisen. Vielleicht könne in Wien ein Visum hinterlegt werden. "Aber in Wien war nichts" für Wolf, dessen Vater als Jude während der Nazizeit verfolgt wurde. Also sei er doch nach einigen Tagen nach Moskau gereist. Von Wien aus schrieb er noch Michail Gorbatschow einen Brief, in dem er den sowjetischen Staatschef aufforderte, sich für die Straffreiheit der DDR-Funktionäre einzusetzen. "Aber Gorbatschow hat uns verraten. Er hat die Verantwortlichen in der DDR ohne Not ausgeliefert." Wolf war 1997 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 2. 2001)