Washington/New York - Das volle Ausmaß des Schadens, den die Spionagetätigkeit des FBI-Agenten Robert Philip Hanssen angerichtet hat, sei noch nicht abzuschätzen, erklärte FBI-Direktor Louis Freeh, es sei aber anzunehmen, dass er "außerordentlich" sei. Hanssen (56) wurde Sonntag nahe seinem Haus in einem Vorort von Washington verhaftet, nachdem er versucht hatte, vertrauliche Informationen in einem toten Briefkasten in einem Park zu deponieren. Gleichzeitig konfiszierte das FBI Bargeld in Höhe von 50.000 Dollar - offenbar der Lohn für den mutmaßlichen Spion. Als Anti-Terror-Spezialist hatte Hanssen, der mehr als 25 Jahre lang für den FBI gearbeitet hatte, Zugang zu äußerst sensiblen Dokumenten. In der Anklage, die Dienstag vor einem Bundesgericht in Alexandria, Virginia, erhoben wurde, wird Hanssen vorgeworfen, in den letzten Jahren höchst vertrauliches Material - besonders über neueste elektronische Überwachungsmethoden - an den sowjetischen KGB und an dessen Nachfolger SWR geliefert zu haben. Für seine Dienste habe er im Laufe der Jahre insgesamt 1,4 Millionen Dollar erhalten. Der Vater von sechs Kindern sei zudem für den Tod von zwei Doppelagenten verantwortlich, die nach Russland zurückgekehrt waren und dort hingerichtet wurden. Es ist dies das dritte Mal, dass ein FBI-Agent der Spionage angeklagt wurde - das FBI ist im Prinzip nur für interne US-Angelegenheiten zuständig; außenpolitische Belange werden vom CIA behandelt. Vor einigen Monaten waren FBI-Beamte bei einer internen Untersuchung auf eine undichte Stelle geraten, was später durch russische Dokumente bestätigt wurde, die auf geheimem Weg in die USA gelangten. Hanssen hatte bis zu seiner Verhaftung im FBI-Hauptquartier in Washington gearbeitet, wo er während des Großteils seiner Karriere für die Überwachung der russischen Botschaft und russischer Delegationen zuständig war, aber auch das Außenministerium beriet. Den Russen war er nur unter den Decknamen "Ramon" oder "B" bekannt. Hanssen soll auch wesentlich daran beteiligt gewesen sein, die FBI- Untersuchung des Spionagefalls Felix Bloch (siehe Artikel unten) zu boykottieren. Hanssens Beziehung zu den Russen begann 1985 mit einem Brief an einen KGB-Agenten, in dem er sich selbst als Spion anbot. In der Folge machte sich Hanssen vielfach schriftlich über die USA und den FBI lustig. Er meinte, dass man "die Fähigkeiten des FBI" überschätze und verglich die USA mit einem "zurückgebliebenen Kind". Sollte Hanssen der Spionage verurteilt werden, könnte ihm die Todesstrafe drohen. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.2.2001)