In seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele hat Bundespräsident Klestil allen, insbesondere den "Kritikern in den Medien", vor allem aber den "Verantwortlichen in den Gremien der Festspiele" eine "intensive Lektüre" von Hofmannsthals Gründungsschriften ans Herz gelegt. Denn diese Texte, "ganz einfache Worte von visionärer Kraft", wie Klestil sie zu charakterisieren versucht, hätten Verbindlichkeit bis heute, sie gelte es zu studieren, um endlich wieder all das von neuem zu etablieren, was Salzburg immer schon ausgezeichnet hätte: "Oasen der Stille", "Heilstätten der Seele", an denen "Harmonie", "Gleichklang", "Stil und Geschmack" regierten.

Alle reden mit

Bis jetzt ist niemand wirklich der Lektüreempfehlung nachgekommen. Während die einen Klestils Aufforderung reflexionslos wiederholen, bemühen sich die anderen reflexartig, Hofmannsthal vor der Vereinnahmung durch ein reaktionäres, populistisches Kulturverständnis zu schützen. Eine dritte Gruppe wiederum beruft sich auf Michael P. Steinbergs Buch "The Meaning of the Salzburg Festival" - eine Studie, die eine kultursoziologische Gesamtanalyse Österreichs und der Festspiele zwischen 1890 und 1938 versucht, Hofmannsthals ursprüngliche Entwürfe jedoch kaum berührt.

Alle reden mit, und niemand hat Hofmannsthals Texte gelesen. Dabei würde es sich lohnen, diese Schriften genauer zu studieren, vor allem, um die weltanschaulichen Positionen festzumachen, die Klestil und diejenigen, die ihm zustimmen, nicht nur als Fundament des eigenen Kunstverständnisses, sondern auch als verbindliche Basis einer konfliktfreien Salzburger Zukunft anzugeben bestrebt sind. Die "identitätsstiftende Rolle" für Österreich, die der Bundespräsident den Salzburger Festspielen als eine ihrer zentralen Auflagen seit ihrer Begründung zuspricht, ist nämlich von Hofmannsthal präzis beschrieben worden.

Der diffuse Mitteleuropa-Gedanke Hofmannsthals, auf den sich Klestil beruft, war für Hofmannsthal zwischen 1917 und 1921 keineswegs der zentrale Ansatz einer neuen österreichischen Identität. Und keine politische Analyse war es, die Hofmannsthal seine Vorstellung des Österreichischen entwickeln ließ, sondern eine Literaturgeschichte, die geschlossene Stammeskulturen zu behaupten versucht: Josef Nadlers "Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften".

Aus dieser Literatur-Ethnographie mit biologistischem Ansatz übernahm Hofmannsthal den Mythos einer alle Zeiten und Krisen überdauernden Kultur des "Bayrisch-Österreichischen". "Den Urtrieb des bayrisch-österreichischen Stammes gewähren lassen" - das war der eigentliche, der ursprüngliche Zweck, den Hofmannsthal mit den zu gründenden Festspielen verfolgte. Dieser "Urtrieb", der Trieb zum Darstellerischen, wurde dabei einem imaginären "Volk" unterschoben, das Hofmannsthal als "bajuwarisches" Kollektiv von Bauern und Handwerkern beschrieb.

Kein harmonischer Ausgleich war dabei intendiert, wie Klestil es zu belegen versucht, kein kulturelles Miteinander war gefragt. Die Dominanz einer als überzeitlich ausgegebenen, vom Barock und vom Katholizismus geprägten einheitlichen bayrisch-österreichischen Kulturtradition wurde, basierend auf Nadlers Thesen, von Hofmannsthal behauptet: ein hierarchisches Verhältnis, in dem alle Kunstformen aus der bayrisch-österreichischen Tradition abgeleitet wurden, war Grundlage der neuen, der österreichischen Selbstbestimmung, die in Salzburg manifest werden sollte.

Antimodernes Konzept

Nadlers Mythos einer vormodernen Volkskultur wurde in Hofmannsthals Entwürfen zur Basis einer rückwärtsgewandten Ideologie. Die antimoderne Konzeption der Salzburger Festspiele, in der das Bäuerlich-Ländliche als Hort vorindustrieller Traditionen aufschien, richtete sich dezidiert gegen eine vom Tauschwert und von der Beschleunigung bestimmte Welt. Das Bestreben, sich aus der Großstadt in eine ländliche Enklave zurückzuziehen, war nicht nur durch die Stilisierung Salzburgs zum Zentrum der bayrisch-österreichischen Kulturlandschaft begründet, sondern ist auch aus einer konservativen Grundhaltung zu erklären, die sich gegen die zeitgenössischen Tendenzen der Säkularisierung wie der Demokratisierung und gegen den Bruch der Moderne mit den alten Überlieferungen richtete.

Modell Oberammergau

Die Salzburger Festspiele waren bei ihrer Gründung keineswegs als kosmopolitisches, europäisches Kulturzentrum konzipiert, sondern als provinzielle, anachronistische Gegenveranstaltung. Hofmannsthals Vorbild war dabei symptomatischerweise auch nicht Bayreuth, sondern Oberammergau. Das spezifisch Österreichische, das die Salzburger Festspiele Hofmannsthals ersten Manifesten zufolge transportieren sollten, bekennt sich nicht zu "grenzenloser Offenheit und Übernationalität", wie Klestil das behauptet, sondern basiert auf dem Ausschluss des Anderen, des Neuen und Verstörenden.

"Das Finstere ohne Hoffnung, das innerlich Gewöhnliche und das völlig Weihelose" hätten in Salzburg keinen Ort, zitiert dann auch konsequenterweise Klestil in seiner Rede aus einem Hofmannsthals-Text von 1926, in dem es jedoch nicht mehr um die Begründung, sondern nur noch um die Rechtfertigung eines zusammenhanglosen Programms ging. Die Bezugnahme auf Hofmannsthal, der in seinen ersten Entwürfen das Zeitgenössische völlig ausgeklammert und nur das als Programm für Salzburg akzeptiert hatte, was aus der bayrisch-österreichischen Theatertradition abgeleitet werden konnte, wird so zum bequemen Vehikel, aus dem heutigen Salzburg all das zu verbannen, was auf Provokation und Konfrontation hindeuten könnte.

Aus Hofmannsthals Texten werden somit in der Rede des Bundespräsidenten kulturpolitisch hilfreiche Aspekte des- tilliert, um die, wie Klestil es formulierte, "beste österreichische Tradition" zu beschwören, und zugleich werden die überaus fragwürdige Grundtendenz von Hofmannsthals Äußerungen sowie ihre historische Verortung und ihre politische Konsequenzen unterschlagen. Gerade diese Ideologie der Ausgrenzung aber müsste freigelegt werden - vor allem auch im Dienste der angesprochenen Toleranz und Offenheit.
Dr. Pia Janke ist Assistentin am Institut für Germanistik der Universität Wien