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Everett/Washington - Ein technisches Wunderwerk, mit dem die Deutschen den Alliierten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges noch einmal Schrecken einflößen und ihr eigenes Ende hinauszögern wollten, erlebt ausgerechnet im US-"Fliegerstädtchen" Everett seine Wiederauferstehung. Nördlich von Seattle an der Westküste der USA werden in mühevoller Handarbeit fünf zweistrahlige Me 262 zusammengebaut. Und zwar dort, wo normalerweise Boeing seine Jumbos zu Testflügen starten lässt. Die letzte "Wunderwaffe" der Nazis hat amerikanische Flugzeugfans, alte Techniker, Ingenieure und Konstrukteure nicht ruhen lassen. Nachdem sie bereits eine alte Me 262, die die US-Navy 1945 per Schiff via Cherbourg in die USA brachte, in mühevoller Fleißarbeit wieder aufpoliert und als Muster für ihre Puzzle-Arbeiten genommen hatten, bauen sie jetzt in einem kleinen Hangar fünf dieser deutschen Düsenjäger nach, die einst das technische Non plus ultra am Himmel waren. Zusammengefunden Der vermögende US-Industrielle Steve Snyder aus New Jersey, seinen Freunden zufolge ein "Flugzeug-Verrückten", startete 1992 das aufwendige Projekt in Texas. In Everett im US-Bundesstaat Washington lebt es als "Classic Fighter Industries" weiter. Unter der Regie des früheren, längst pensionierten Boeing-Vizepräsidenten Bob Hammer - "Das macht doch viel mehr Spaß als zu Hause Geschirr waschen" - fanden sich einige Dutzend Enthusiasten, fast ausnahmslos ehemalige Boeing-Männer, zusammen, um Willy Messerschmitts Maschinen wieder zum Leben zu erwecken. Die erste Me 262, von der 1.433 Exemplare gebaut wurden, aber nur gut 300 zum Einsatz gelangten, absolvierte ihren Jungfernflug schon am 18. Juli 1942. Kriegsentscheidende Bedeutung erlangte das 870 Stundenkilometer schnelle Jagdflugzeug, das rund 200 Stundenkilometer schneller war als die meisten der damals existierenden Jäger, nicht mehr, auch wenn es vielen englischen und amerikanischen Piloten anfangs gehörigen Schrecken einjagte. Ein Flugzeug ohne Propeller hatten sie noch erlebt. Für sie war es eine Art Phantom am Himmel. Und auch die ersten der insgesamt elf erbeuteten Me 262, die nach Amerika gebracht wurden, lösten bei staunenden US-Piloten und - Konstrukteuren große Verwunderung und Kopfschütteln aus. Mehr als "Kinderkrankheiten" Dass die Me 262 in den letzten Kriegsjahren keine große Rolle mehr spielte, hatte viele Gründe. Es fehlte nicht nur an qualifizierten Piloten. Fahrwerksprobleme, Triebwerksaufälle und die doch noch recht unbekannte Aerodynamik waren am Ende mehr als "Kinderkrankheiten". Die wenigen Strahljäger, die zum Einsatz kamen, waren sehr verwundbar und wurden immer wieder eine leichte Beute der alliierten Piloten. Am Ende blieb die Me 262 - die Fighter-Version trug den Namen "Schwalbe" und der Kampfbomber hieß "Sturmvogel" - nur eine Fußnote des Zweiten Weltkrieges, auch wenn der geniale deutsche Konstrukteur Willy Messerschmitt mit diesem ersten Düsenjäger der militärischen Luftfahrt den Weg gewiesen hatte. Von den Me 262 der vierziger Jahre unterscheiden sich ihre US-Nachbauten nur in zwei wichtigen Punkten: Die alten Junkers Jumo 004B-Triebwerke werden in Everett durch General Electric J-85 CJ610-Kraftpakete ersetzt. Und die Nachbauten, die noch in diesem Sommer nach mehrmonatigen Bodentests fliegen sollen, werden - im Gegensatz zum letzten originären zweisitzigen Trainer - auch kein Hakenkreuz am Heck tragen. Bob Hammer sagt dazu: "Dieses Flugzeug ist ein Stück Luftfahrtgeschichte. Diese Geschichte wollen wir wieder lebendig werden lassen - mit dem politischen Hintergrund, vor dem dieses Flugzeug geschaffen wurde, haben wir nichts im Sinn." Dankbar aber sind diese amerikanischen Flugzeugfreaks ganz besonders für die große Hilfe, die ihnen die Münchner Messerschmitt-Stiftung schon seit Jahren gibt: "Ohne diese wären wir noch längst nicht so weit." (dpa)