Literatur
Kein zusätzlicher Horrorfilm
Umgedrehte Mägen auch ohne "Hannibal" - "Journal des Verschwindens" (XVII)
Der Tod im Kino: eigentlich etwas Anzustrebendes. Besser als Tod im Krankenhaus. Aber nicht in jedem Kino und sicher nicht bei jedem Film. Agonien sind noch viel mehr als Euphorien auf Qualität angewiesen. Und gerade bei den Zumutungen der Existenz sollte man sich nicht auf den Geschmack anderer verlassen. Die Multiplexx-Kinos etwa schießen laut, wahllos und lärmend aus dem Boden. Man müsse, wenn sie gerade keinen größeren Erfolg haben, abwarten, sie "arbeiten lassen" - wie das die Regierung immer von sich sagt. Während sie gleichzeitig, ohne abzuwarten, Hilfsangebote, etwa bei Sterbenden, streicht.
Da arbeitet Anthony Hopkins schon besser. Dennoch kann ich nicht in
Hannibal
gehen, weil ich las, dass in England Rettungsmannschaften kommen mussten, weil es einigen Besuchern den Magen so lange umdrehte, bis nichts mehr davon übrig war. Das geht in Österreich schon ohne
Hannibal
. Kein zusätzlicher Horrorfilm. Aber die Vorbereitung darauf, als Schutz: ein Buch.
"Die gibt es bei uns nicht", hieße es sicher auf die Frage nach einer Filmgeschichte bei Freytag und Berndt auf dem Kohlmarkt. Klar, dort gibt es nur Landkarten, aber wer braucht Landkarten im dunklen Kinosaal? Und wer unter Umständen bloß provozieren möchte, erntet wohl mitleidige Blicke - aber er ist auf dem richtigen Weg.
Bis hinunter zur "Satyr-Filmwelt" neben der schrecklichen Marc-Aurel-Straße ist es nicht weit. Der Umweg über Freytag-Berndt war hilfreich. In "Satyr" gekauft: "Die größten Schurken der Filmgeschichte", so heißt der Reclamband 1711, erste Auflage 2000, als Umschlaggestalter wird "KOSMOS NET" genannt. Diese verwenden ein Porträtfoto von Hannibal Lecter aus dem Film
Das Schweigen der Lämmer
.
Im Band finden sich auch Filme aus der im Imperialkino leider zu Ende gegangenen und durch eine öde DDR-Filmschau abgelösten Serie mit Edgar-Wallace-Filmen:
The Lodger
,
Das Ungeheuer von London City
,
Mord an der Themse
. Was bleibt alkoholkranken Scotland-Yard-Inspektoren schließlich auch anderes übrig. Natürlich kommen auch Filme wie
Wie ich lernte, die Bombe zu lieben
in diesem Buch vor.
Aber die Reinkultur des Bösen, so zeigt das Studium, ist auch nicht einfacher als restliche Reinkulturen, sie verlangt verquere Gedankengänge, eine ziemlich starke Abstraktionsfähigkeit, Zurückgezogenheit und Blutdurst. Selbst Norman Bates in Alfred Hitchcocks
Psycho
wirkt (nicht mehr als zwei Morde) bescheiden, fast naiv.
Halloween-Killer, sadistische Gymnasiasten, windige Psychiater. Erst einmal werden die Zuschauer fast freundlich manipuliert. Wer das übersteht, wird bald ernster genommen.
"Und wer ist wirklich des Teufels?", heißt es im einleitenden Essay von
Die größten Schurken der Filmgeschichte
. Ja - wer treibt die Götter in die Raserei und mit ihnen den verborgenen Gott?
G. B. Shaw würdigt Erfinder von Greueltaten gekonnt und irisch (was ja ziemlich identisch sein soll): "Während wir konventionellen Sozialdemokraten unsere Zeit auf Erziehung, Agitation und Organisation vergeudeten, hat ein unabhängiges Genie die Sache in die Hand genommen."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 2. 2001)