Wie schnell sich die Bilder ändern. Eben noch waren sie umjubelte Befreier. Jetzt werden sie mit Steinen beworfen. Die Friedenssoldaten im Kosovo stecken in Schwierigkeiten. Doch schon vor dem Einmarsch der KFOR-Truppen war klar, dass dieser Einsatz kein Spaziergang werden würde. Denn der Balkan ist ein Minenfeld. Um so wichtiger wäre es gewesen, die Mission auf der Basis der Lehren aus früheren Einsätzen optimal zu organisieren. Das wurde jedoch versäumt. Die Analyse der internationalen Friedenseinsätze seit dem Ende des Kalten Krieges ergibt eine eindeutige Lektion: Solche Missionen müssen in ihren militärischen, zivilen und polizeilichen Komponenten straff organisiert sein und eine einheitliche Führungsstruktur haben. Nur dann können sie in einem so schwierigen Gelände wie dem des Kosovo bestehen. Einsätze, die über eine derartige Struktur nicht verfügen, gerieten - wie etwa der in Bosnien und Somalia - in größte Schwierigkeiten, ja endeten im Desaster.

Zentrale Führung

Die Politiker auf dem G-7/8-Gipfeltreffen im Juni in Köln, die die Weichen für den Kosovo-Einsatz stellten, hätten gut daran getan, sich erfolgreiche UN-Einsätze zum Vorbild zu nehmen; etwa die in Ostslawonien oder Kambodscha, die eine zentrale Führung hatten. Statt dessen orientierten sie sich an dem gegenwärtigen Einsatz in Bosnien, obwohl dieser wegen seiner Trennung von ziviler und militärischer Präsenz immer wieder in erhebliche Schwierigkeiten geraten ist.

Amerikanische Militärs und Politiker bestehen auf Grund einer unzutreffenden Analyse der Fehlschläge in Somalia und Bosnien auf einer Trennung des militärischen und zivilen Teils. So wurde in Köln dann auch für den Kosovo verfahren. KFOR und der von den Vereinten Nationen geführte zivile Einsatz Unmik bleiben getrennt. Beide sollen ihre Aktivitäten lediglich "koordinieren und sich wechselseitig unterstützen". Das hat schon in anderen Einsätzen nicht besonders gut funktioniert.

Unverständlich ist weiter, dass die für den zivilen Wiederaufbau zentralen Organisationen, insbesondere die Vereinten Nationen, nicht rechtzeitig beratend herangezogen wurden. UN-Generalsekretär Kofi Annan wurde ebenso wenig konsultiert wie die Führungsspitzen der Einsätze in Bosnien oder Ostslawonien. Und anders als es in den Monaten vorher noch schien, war es nun plötzlich nicht die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), sondern es waren die zuvor geschmähten UN, denen die oberste Verantwortlichkeit für die zivile Präsenz zugeschoben wurde. Die Kapazitäten der Vereinten Nationen für die Organisation von Friedenseinsätzen jedoch sind durch drastische Etat-Kürzungen stark eingeschränkt.

Eine weitere unbeachtete Erfahrung: Die Unterzeichnung von Friedensvereinbarungen bedeutet noch kein Ende der Gewalt. Diese bleibt vielmehr ein wesentliches Element und bedroht die Bevölkerung genauso wie das internationale Personal. Abkommen werden häufig nur aus taktischen Gründen unterschrieben. In Somalia, Bosnien und Liberia wurden Hunderte davon gebrochen. Leichte Waffen sind weiterhin reichlich vorhanden, selbst wenn - wie im Kosovo - mit der Demilitarisierung der Konfliktparteien begonnen wurde. Diverse Banden und Milizen, die zuvor den Konfliktparteien dienten, machen sich breit.

Keine Exekutivfunktion

Unter Fachleuten ist strittig, wie dieses Problem zu lösen ist. Die bei internationalen Friedensmissionen eingesetzte Polizei ist in der Regel gar nicht oder nur leicht bewaffnet und hat keine Exekutivfunktion. Sie überwacht die lokale Polizei und hilft diese aufzubauen, kann also wenig ausrichten, wenn es zu Gewaltakten kommt. Das Militär dagegen erklärt sich in der Regel für nicht zuständig, da es für Polizeiaufgaben nicht ausgebildet und ausgerüstet sei. Auch KFOR-Befehlshaber General Jackson hat angekündigt, dass seine Truppen sich von dieser Aufgabe zurückziehen werden, sobald mehr internationale Polizei eingetroffen ist.

Über rund 3000 Mann soll die internationale Polizeitruppe im Kosovo künftig verfügen. Sie werden größte Schwierigkeiten haben, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Denn das schaffen ja derzeit mehr als 30.000 KFOR-Soldaten kaum. Die Schwierigkeiten sind immens. In den sich neu bildenden Strukturen der albanischen Gesellschaft hat sich die Befreiungsarmee des Kosovo (U¸CK) - und mit ihr wohl auch die Mafia - bereits fest eingenistet. Dazu beigetragen hat, dass es zwar einen durchdachten Plan für den Einmarsch der KFOR-Truppen im Kosovo gab, nicht aber für einen schnellen Aufbau der zivilen Präsenz.

Die Nato schrieb während der Bombardierung ihre Planung kontinuierlich fort. Die Vereinten Nationen konnten das nicht. Denn Annan und seine Mitarbeiter erfuhren ja erst kurz vor dem Einsatz von der Führungsrolle der Vereinten Nationen. Auf der zivilen Seite entstand so ein Vakuum. Der Weg war frei für die Etablierung von U¸CK-dominierten Parallelstrukturen in Städten und Gemeinden.

Wie soll die internationale Polizei an diese Strukturen herankommen, wenn sie zu einer Gefahr für Sicherheit und Ordnung werden, zumal die wenigsten UN-Mitarbeiter Albanisch sprechen? Der Aufbau der lokalen Polizei steht noch ganz am Anfang. Sie wird sich zudem nicht gegen die U¸CK stellen. Äußerstenfalls werden U¸CK und andere Kräfte nicht zögern, die Stimmung der Bevölkerung gegen die internationale Polizei aufzuheizen. Polizei, KFOR, der internationale Einsatz schlechthin werden als proserbisch diskreditiert und drohen somit als Hindernis für eine volle Unabhängigkeit des Kosovo angegriffen zu werden.

Aussichtsloser Versuch

Der noble Versuch der internationalen Gemeinschaft, Serben und Albaner zu einem friedlichen Zusammenleben zu bewegen, dürfte ebenso aussichtslos sein wie der, den Kosovo einerseits zu demokratisieren und andererseits als autonomes Gebiet im serbischen Machtbereich zu belassen. Die Mehrheit der albanischen Bevölkerung will weg von Serbien und wird notfalls auch einen bewaffneten Kampf von Gruppen der U¸CK gegen den Friedenseinsatz unterstützen.

Denn das ist eine weitere Erfahrung aus früheren Missionen: Die Stimmung der Bevölkerung gegenüber einem Friedenseinsatz kann erstaunlich schnell umkippen. Die Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die Hilfe bringen, dann aber den politischen Wünschen einer Mehrheit im Wege stehen, ist kurzlebig. Die westlichen Führer sollten keine Zeit verlieren, darüber nachzudenken, wie der Friedenseinsatz in seiner Organisation und Ausrichtung aus dieser gefährlichen Sackgasse herausgebracht werden kann.

Winrich Kühne ist Mitglied der Institutsleitung der Stiftung Wissenschaft und Politik in Ebenhausen bei München
© Süddeutsche Zeitung, 14. August 1999