Die einzigen Graffiti in Berlin, die unter Denkmalschutz stehen, sind nun Anlass für heftige Auseinandersetzungen. Denn die Schriftzeichen, die Wände des Reichstags zieren, sind Signaturen, die Soldaten der Roten Armee bei der Eroberung des Gebäudes 1945 hinterlassen haben. Mauern und Stiegenaufgänge sind mit Namenszügen, aber auch mit Flüchen über das feindliche Deutschland, zotigen Sprüchen und Hymnen auf den Sieg der eigenen Armee übersät ("Ruhm den Erstürmern"). Die Graffiti erstrecken sich über mehr als hundert Meter. Der CSU-Abgeordnete Johannes Singhammer will nun im Bundestag einen Antrag auf Entfernung der "Russen- Graffiti" einbringen. Zumindest ein Teil der Schriftzüge soll übertüncht und durch Wappen der Bundesländer ersetzt werden. Wenig Zustimmung 60 Unterschriften von Parlamentariern (weniger als zehn Prozent der Abgeordnetengesamtzahl) haben Singhammer und sein CDU-Kollege Horst Günther bereits gesammelt. Vor eineinhalb Jahren hatte Singhammer noch gedroht, die Zeichen eigenhändig mit schwarzer Farbe zu übermalen: Das wären dann auch Graffiti, sagte er damals. Seit 1995 sind die Graffiti in Diskussion. Der britische Architekt Norman Foster legte die bis dahin hinter Wandverkleidungen versteckten kyrillischen Schriftzüge frei und ließ sie konservieren. Seither achten nicht nur die Denkmalschützer auf ihren Erhalt, sondern auch die russische Botschaft in Berlin. Denn als zum ersten Mal deren Entfernung diskutiert wurde, führte dies zu Spannungen zwischen Deutschland und Russland auf höchster Ebene. Moskauer Regierungsstellen schalteten sich ein und forderten: Bei den Graffiti handle es sich um ein historisches Zeugnis, das nicht zerstört werden dürfe. Andernfalls müsse man sie ins Museum bringen - nach Russland. Was aber nicht so einfach ist: Da ein Teil der Schriftzeichen eingeritzt sind, müssten ganze Mauerteile des Gebäudes abgetragen werden. Vor zehn Jahren sind schon einmal Mauerteile mit Graffiti aus Berlin weggebracht worden, allerdings war der Abriss der Berliner Mauer einfacher. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25. 2. 2001)