Ankara - Die schweren Wertverluste der türkischen Währung Lira werden auch österreichische Unternehmen treffen. Wie der Handelsdelegierte in Ankara, Peter Sedlmayer, im Gespräch mit Journalisten Freitag Abend betonte, werden durch die Abwertung der Lira um fast 40 Prozent in den vergangenen zwei Tagen für die Türkei Importe teurer. Die besondere Sorge gelte nun der Bedienung von Schulden türkischer Unternehmen, deren Wert sich durch die jüngsten Ereignisse rapide vergrößert habe. Die österreichische Wirtschaft ist in der Türkei vor allem beim Bau von Wasserkraftwerken und mit Exporten von Maschinen in den Bereichen Textil, Papier und Kunststoff vertreten. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres verringerte sich das österreichische Handelsbilanzaktivum auf nur mehr knapp 395 Millionen Schilling. Die türkischen Exporte nach Österreich haben sich seit 1990 mehr als verdoppelt und erreichten in den ersten drei Quartalen 2000 eine Höhe von 4,4 Milliarden Schilling. Seit 1.1.1996 ist eine Zollunion zwischen der Türkei und der EU in Kraft. Eine Normalisierung des Wechselkurses der Lira erwartet Sedlmayer in zwei bis drei Wochen. Durch die Donnerstag Früh beschlossene Freigabe des Wechselkurses könne sich die Währung nun auf ihrem "realen Wert einpendeln". Bisher sei die Lira klar überbewertet gewesen. Eine der Folgen des Wertverlustes der Lira werden eine Verteuerung von Importwaren sein. Dies wird die Bevölkerung zu spüren bekommen, da die Türkei stark von Einfuhren abhängig ist: Die Liste der importierten Güter reicht von Erdöl bis zu westlichen Verbrauchsgütern. Da eine Anhebung des durchschnittlichen Lohnniveaus von rund 3.500 Schilling im Monat nicht vorgesehen sei, werde die türkische Bevölkerung diese Verteuerung schmerzhaft zu spüren bekommen, meint Sedlmayer. Positiv könnte sich die Abwertung nach Ansicht des Handelsdelegierten hingegen auf die türkischen Exporte auswirken, die billiger werden. Auch der Tourismus werde vermutlich profitieren. Ob sich der Wertverlust der Währung auch in einen massiven Anstieg der Inflation niederschlagen wird, könne noch nicht mit Sicherheit beurteilt werden: "Es geht nun darum, glaubhafte Reformen zur Eindämmung der Inflation zu machen". Die Türkei hatte in den 90er Jahren jährliche Inflationsraten von bis zu 80 Prozent. Ihre Bekämpfung war eines der Hauptziele der Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit. Bisher wurde dies schrittweise durch eine Anbindung der Lira an einen Korb aus Hartwährungen versucht. Was nun die Regierung zur Aufgabe dieses Kurses veranlasste, konnte auch Sedlmayer nicht sagen. "Es gibt wahrscheinlich nicht einen einzigen Grund dafür, sondern seit langem herrscht eine angespannte Situation. Da reicht dann oft ein kleiner Auslöser". Der Währungscrash erfolgte nach einem Streit zwischen Präsident Ahmet Necdet Sezer und Regierungschef Ecevit vergangenen Montag. Die Börse Istanbul reagierte darauf mit massiven Kursverlusten, die am Dienstag mit 18 Prozent einen historischen Rekord erreichten. Nach Zeitungsberichten erfolgte die Kursfreigabe der unter Druck geratenen Lira, nachdem die Nationalbank ein Fünftel ihrer Devisenreserven erfolglos für Stützungskäufe ausgegeben hatte. Vordringlichste Aufgabe der türkischen Regierung ist es nun nach Ansicht von Sedlmayer, Vertrauen zu schaffen. "Das ist die große Frage, aber da gibt es viele Parameter, die nicht vorhersehbar sind". Prinzipiell sei zwar die türkische Wirtschaft von der Politik "relativ unabhängig", die herrschende Instabilität mache das Land aber für Investoren nur wenig attraktiv. In der türkischen Öffentlichkeit wurde die Währungskrise mit großer Betroffenheit aufgenommen. Erste massive Preisschübe blieben aber bisher aus. Mehrere Zeitungen schrieben jedoch von der größten Wirtschaftskrise seit Jahren, die Zeitung "Sabah" forderte sogar den Rücktritt der Regierung. Völlig ungerührt begaben sich die Spitzen des Staates zu Besuchen ins Ausland: Während Präsident Necdet Sezer nach Kairo reiste, nahm Regierungschef Bülent Ecevit an einem Balkangipfel in Mazedonien teil. (APA)