Paris/Wien - Dem NS-Verbrecher Alois Brunner wird ab dem 2. März in Abwesenheit in Frankreich wegen Verbrechen gegen die
Menschlichkeit der Prozess gemacht werden. Das Verfahren wurde vor einem Pariser Schwurgericht auf Betreiben des Anwalts und Präsidenten der Angehörigenorganisation deportierter französischer Juden, Serge Klarsfeld, angesetzt. Allerdings ist
nach wie vor unklar, ob Brunner, der heute 88 Jahre alt wäre, überhaupt noch lebt und wenn, wo er sich aufhält.
Der gebürtige Österreicher wurde bereits 1954 in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt; im damaligen Verfahren lautete die
Anklage jedoch auf Kriegsverbrechen. Im März soll Brunner nun wegen der Deportation von 241 jüdischen Kindern im Juli 1944 der
Prozess gemacht werden; sie starben alle in Auschwitz. Insgesamt wird Brunner für die Deportation von rund 120.000 Juden verantwortlich
gemacht. In jener Zeit leitete der Burgenländer das Deportationslager Drancy in der Nähe von Paris. Er wird auch als "rechte Hand" von
Adolf Eichmann angesehen.
Aufenthaltsort unbekannt
Brunner ist allerdings seit Jahrzehnten flüchtig. Seit 1954 soll er sich unter dem Namen "Georg Fischer" in Syrien aufgehalten haben. Dies war
von der Regierung in Damaskus jedoch immer bestritten worden. Vor fünf Jahren hatte es geheißen, er sei in Südamerika. Nach anderen
Berichten soll Brunner bereits vor längerer Zeit gestorben sein.
Anfang Dezember des Vorjahres war in der französischen Zeitung "Ouest France" zu lesen, dass Brunner 1996 in Syrien an Altersschwäche
gestorben sei. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Wien geht jedoch davon aus, dass er nach wie vor in Syrien lebt. Auch das Hamburger
Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte berichtet, Brunner lebe und halte sich in einem Hotel in Damaskus versteckt.
Auch Frankreich, Österreich und Polen hatten in den vergangenen Jahrzehnten Auslieferungsbegehren gestellt. Vor allem Deutschland suche
Brunner wegen dessen Beteiligung an der Ermordung von 120.000 Juden aus Österreich, Deutschland, Griechenland, Frankreich und der
Slowakei, so Klarsfeld. Der Präsident der Association fils et fille des deportes juifs de France - FFDJF), betonte, der bevorstehende Prozess
sei der letzte in Frankreich, der Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges behandle.
"Chef-Liquidator" des jüdischen Wien
"Die Akte Alois Brunner" - dieses Anfang des Jahres erschienene Buch schildert den Werdegang des Nazi-Verbrechers, der
von einer Randfigur der Gesellschaft zur "rechten Hand" des Hitler-Getreuen Adolf Eichmann aufstieg und zum Liquidator einer ganzen Kultur
wurde, speziell der jahrhundertelang gewachsenen Kultur des jüdischen Wien. Die Autoren Georg M. Hafner und Esther Schapira
beschäftigen sich eingehend mit der Frage, warum es dem mutmaßlichen Schuldigen an der Deportation von rund 120.000 Menschen gelang,
sich ein Leben lang dem Zugriff der Justiz zu entziehen.
Brunner kam 1912 im burgenländischen Rohrbrunn als Kind eines Bauern zur Welt. Als 19-Jähriger tret er der illegalen NSDAP bei.
Vorübergehend wurde er nach der Machtergreifung Hitlers ausgeschlossen, weil er vergaß, seinen Mitgliedsbeitrag zu zahlen. 1935 lernte er
SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann 1935 im SA-Trainingslager kennen, der ihn als seinen Sekretär nach Wien holte. 1939 wurde ihm
de facto und 1941 offiziell die Leitung der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung" anvertraut. Seine Karriere als Vernichter der jüdischen
Wiener Kultur begann.
Massen-Deportation
Die "Akte Brunner" berichtet minuziös über den Vernichtungsfeldzug der Nazi-Größe. Zwischen 1939 und 1942 organisierte
SS-Obersturmbannführer Brunner in Wien, das damals 180.000 jüdische Bürger zählte, deren Deportation. Am 9. Oktober 1942 verließ der
letzte Zug das nach Nazi-Diktion nun "judenfreie" Wien in Richtung KZ. Brunner wurde nach Berlin geholt, wo Eichmann auf Schwierigkeiten
beim Auffinden von Juden stieß. Brunner griff auch dort gründlich durch: Zwischen Herbst 1942 und Jänner 1943 organisierte er die
Deportation von 56.000 Juden in Vernichtungslager.
Die nächste Station Brunners war Saloniki, wo die größte sephardische Gemeinde Europas, rund 50.000. Menschen, lebte. Der Österreicher
nahm persönlich an der Menschenjagd teil und organisierte, wie schon in Wien, in der griechischen Stadt den Raub von Kunstwerken.
Anschließend wurde Brunner in Frankreich eingesetzt, um dort die Juden-Deportationen zu beschleunigen.
Nach der Besetzung Südfrankreichs ließ er nahezu jedes Dorf nach versteckten Juden durchkämmen. Auch Kinder wurden kaum verschont,
sodass Brunner den Tod von 11.000 Minderjährigen verantworten muss. Am 17. August 1944 zogen sich die Nazis aus Paris zurück.
Beutestücke wurden in Eisenbahnwaggons nach Berlin transferiert. 23.500 Juden, von denen nicht einmal ein Prozent überlebten, wurden
deportiert.
Täter - nicht "nur" am Schreibtisch
Danach wurde Brunner auf Weisung Eichmanns nach Preßburg geschickt, weil auch dort den Nazis die unter dem Regime von Jozef Tiso
anlaufenden Deportationen zu langsam vorangingen. Auch in der Slowakei schaffte Brunner, was andere vor ihm nicht geschafft hatten, wie
Eichmann-Emissär Dieter Wisliceny, der in Ungarn als Judenjäger massiv vorgegangen war. Nach der Organisation von zwei Drittel der
Judentransporte verließ Brunner die Slowakei, wieder mit Möbeln und Schmuck seiner Opfer im Gepäck.
In ihrem Brunner-Buch stellen die Autoren fest, der Nazi-Scherge habe sich im Zweifelsfall immer für die Deportation von Individuen
entschlossen, wobei ihn weder Alter, Krankheit, unklare Beweislast und diplomatische Verwicklungen abschreckten. Brunner war nicht nur
ein Schreibtischtäter, er legte auch gerne selbst Hand an, um seine Opfer zum Reden zu bringen.
Ein Bischof und ein Großmufti als Fluchthelfer
Nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands wurde Brunner in Österreich zwei Mal verhaftet, jedoch jedes Mal nach kurzer Zeit wieder
freigelassen. Es gelang ihm laut Recherchen der "Akte Brunner" nicht, in Deutschland in der FDP, die ehemalige Nazis rekrutierte, Fuß zu
fassen. So reiste er nach Rom, wo der österreichische Bischof Alois Hundal die Flucht von Nazi-Verbrechern nach Südamerika und in den
Nahen Osten organisierte.
Der Großmufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, half nach der Devise "die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde" ebenfalls Nazi-Größen
dabei, sich im Nahen Osten niederzulassen. Brunner, der sich für kurze Zeit Ali Mohammed nannte, wurde mit Hilfe Husseinis von Kairo nach
Damaskus gebracht. In der syrischen Hauptstadt betätigte sich Brunner in Exportgeschäften, die teils getarnte Waffengeschäfte waren.
Brunner wird nicht nur vom Großmufti von Jerusalem gedeckt, sondern auch von der CIA, schreiben die Autoren der "Akte Brunner". Diese
operiert allerdings unter dem Deckmantel der "Organisation Gehlen", die auf lang bestehende Kontakte im arabischen Raum zurückgreifen
kann. Als Nasser 1954 in Ägypten an die Macht kam, bediente er sich deutscher Experten beim Aufbau des Sicherheitsapparates; Brunner
war dabei. Anfang der Sechziger Jahre vermittelte Brunner der syrischen Geheimpolizei seine Erfahrung mit der Folter.
Der israelischen Geheimdienst Mossad setzte auf Brunner einen Agenten an, dessen Identität aber gelüftet wurde. 1965 wurde der Mann in
Damaskus öffentlich hingerichtet. Der Mossad leugnete, Urheber einer an Brunner adressierten Briefbombe zu sein, die dem österreichischen
Nazi vier Finger wegriss und ihm eine Augenverletzung zufügte.
"Dreckzeug"
Brunner lebte fortan in Damaskus und gab sogar Interviews. Gegenüber der deutschen Illustrierten "Bunte" bezeichnete Brunner 1985 Juden
als "Dreckzeug", das vernichtet gehöre. Antisemitische Ausdrücke häuften sich dermaßen, dass die "Bunte" nur eine zensurierte Fassung des
Interviews veröffentlichte. Mit seinem Leben sei er zufrieden, erzählte demnach der österreichische Nationalsozialist, und er würde alles
wieder genauso machen.
In den Siebziger Jahren erkundigte sich die österreichische Botschaft in Damaskus vorsichtig nach dem Verbleib von Alois Brunner, doch die
Regierung von Präsident Hafez Assad bestreitet seinen Aufenthalt in Syrien. Brunner lebte dort unter dem Namen "Dr. Georg Fischer".
1993 wurde Brunner von Touristen in einem Damaszener Cafe gesehen, er stellte sich unter seinem alten Namen vor und unterhielt sich
angeregt. Dann fuhr er in sein Domizil, ein Gästehaus Assads nahe Damaskus. Es war der letzte Kontakt mit dem Juden-Vernichter, von dem
die Öffentlichkeit erfahren hat. (APA)