Bern - Die Schweizer sind am Sonntag aufgerufen, über die unverzügliche Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU abzustimmen. Die Initiative zu dieser Abstimmung kam aus der Bevölkerung. Die Schweizer Regierung, die sich sehr für den EU-Beitritt einsetzt, hat empfohlen dagegen zu stimmen. Es sei noch zu früh für Beitrittsverhandlungen, so die Linie der Regierung. Sie will erst in der nächsten Legislaturperiode ab 2003 mit der EU über einen Beitritt verhandeln. So vermischen sich in der Schweiz die Stimmen der EU-Gegner mit den "erst später" Stimmen der EU-Befürworter. Laut letzten Umfragen wird nur ein Drittel der Schweizer für den Antrag auf unverzügliche Aufnahme von Beitrittsverhandlungen stimmen. Dann wird vermutlich die Regierung im Ausland Erklärungsbedarf haben, warum die Eidgenossen so EU-feindlich seien. Nach Schweizer Regeln kann jeder Bürger mit Unterstützung von mindestens 100.000 Stimmen die Volksabstimmung über eine Gesetzesinitiative erzwingen. Wenn die Mehrheit der Bürger für das neue Gesetz ist, muss es die Regierung umsetzen. Drei bis vier mal pro Jahr führt dies zu Volksabstimmungen. Am Sonntag wird gleichzeitig über eine Initiative für tiefere Arzneimittelpreise und eine Initiative "Tempo 30 in allen Ortschaften" abgestimmt. Auch in diesen Fragen empfiehlt die Regierung ein "Nein". Die Beziehung der Schweiz zur EU ist von Referenden geprägt. Am 20. Mai 1992 hat das Land sein Ansuchen um eine Mitgliedschaft bei der EU eingereicht. Nachdem die Schweizer aber am 12. Dezember 1992 in einer Abstimmung hauchdünn den Eintritt in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abgelehnt hatten, wurde das Beitrittsgesuch auf Eis gelegt. Inzwischen hat die Schweiz in bilateralen Abkommen mit der EU eine Regelung für die sieben wichtigsten Sektoren, darunter der Straßenverkehr und die Freizügigkeit des Personenverkehrs, getroffen. Diese Abkommen wurden im Mai 2000 mit zwei Drittel Mehrheit von der Schweizer Bevölkerung angenommen. Noch vor echten Beitrittsverhandlungen kommt es zu den nächsten bilateralen Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz zu Einzelthemen. Auf Wunsch der EU geht es um das Bankgeheimnis und Zollbetrug an den Grenzen, auf Wunsch der Schweizer wird über die Öffnung der Grenzen verhandelt. Diese Gespräche werden demnächst aufgenommen. Auch über deren Ergebnis wird es wieder Volksabstimmungen geben. (APA)