Wien - Wenig sinnvoll und in Zeiten des Internet nicht kontrollierbar. So lautete am Dienstag das nahezu einhellige Experten-Fazit bei einer parlamentarischen Enquette zur Frage, ob die Veröffentlichung von Umfrage-Ergebnissen unmittelbar vor Wahlen verboten werden sollte. Widerspruch kam lediglich von Peter Ulram (Fessel-Gfk) der sich "angesichts der österreichischen Praxis" für ein Veröffentlichungsverbot ein Monat vor der Wahl aussprach, wie es etwa in Luxemburg besteht. Die Unsicherheit der Umfrageergebnisse sei methodisch nicht in den Griff zu bekommen, der Einfluss von veröffentlichten Meinungsumfragen auf das Wahlverhalten sei offensichtlich und werde durch die mediale Aufbereitung der Ergebnisse noch größer, präzisierte Ulram die "österreichische Praxis". Es bestehe eben das Interesse der Medien, "viel Lärm um Umfragen zu machen" und diese "in die Story einzubauen". Die Kontrolle eines etwaigen Verbots auch im Internet sei durchaus möglich, so Ulram unter Verweis auf das Vorgehen gegen Kinderpornographie. Selbst wenn ein Verbot nicht ohne weiteres exekutierbar sei, sollte dies den Gesetzgeber aber nicht abschrecken: "In Österreich wird nur die Minderzahl der Autodiebstähle aufgeklärt, dennoch konnte sich der Gesetzgeber noch nicht durchringen, Autodiebstahl prinzipiell straffrei zu stellen." Ulrams Standeskollegen - aber auch zahlreiche Universitäts-Experten - widersprachen dem. Wolfgang Langenbucher vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften meinte beispielsweise, der Wähler sei nicht "mechanisch" beeinflussbar. Dies sei ein Mythos. Andere Experten verwiesen auf widersprüchliche Forschungsergebnisse zu dem Thema: "Strategisches Wahlverhalten" sei zwar Realität, in welche Richtung eine gute oder schlechte Umfrage das Wahlvolk tatsächlich beeinflusse, könne allerdings variieren. Die anwesenden Meinungsforscher forderten mehr Transparenz in der Veröffentlichung von Umfragen, etwa Günther Ogris von SORA, der die Bekanntgabe von Rohdaten, Erhebungszeitraum, Stichprobengröße, Schwankungsbreiten und Unsicherheiten einforderte. Ein Veröffentlichungsverbot wurde allerdings - unter Verweis auf die Forschungs-, Gewerbe- und Informationsfreiheit - nahezu einhellig abgelehnt. Der Generalsekretär des Verbands der Internet-Provider ISPA, Kurt Einzinger, wies den Vergleich der Kontrolle von medialen Veröffentlichungen mit dem Vorgehen gegen Kinderpornos zurück: Kinderpornographie sei weltweit illegal und könne im Internet daher "an der Quelle" bekämpft werden. In der Frage der Meinungsumfragen gebe es nicht einmal einen nationalen Konsens. Ein Veröffentlichungsverbot sei deshalb international nicht durchsetzbar. Andere Experten verwiesen etwa auf das Beispiel Frankreich: Um die dortige "Schonfrist" von sieben Tagen vor der Wahl zu umgehen, würden eben in belgischen Zeitungen veröffentlichte Umfragen zitiert. Ähnliches wäre zwischen Österreich und Deutschland möglich. In ihrer nächsten Sitzung wird sich die Kommission mit der vorzeitigen Veröffentlichung von Hochrechnungen am Wahltag beschäftigen. Ein Termin steht noch nicht fest. Auch Politiker gegen Sperre Gegen ein Verbot von Meinungsumfragen in Wahlkämpfen haben sich am Dienstagnachmittag in einer parlamentarischen Enquetekommission Politiker aller Parlamentsparteien und der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) ausgesprochen. SP-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl meinte, die Grenzen der Meinungsfreiheit dürften nicht eingeengt werden. Auch VP-Fraktionsführerin Ulrike Baumgartner-Gabitzer, Jutta Wochesländer von der FPÖ und die Grüne Madeleine Petrovic sprachen sich gegen eine Sperrfrist aus. Für Petrovic konzentriert sich die Debatte nun auf die Verhinderung der Veröffentlichung von Hochrechnungen aufgrund realer Wahlergebnisse vor Wahlschluss. Dies könne allerdings nicht über die Berichterstattung erfolgen, sondern allenfalls durch die Versiegelung der Wahlurnen bis zum Schließen der letzten Wahllokale, so Petrovic. Wochesländer kann sich auch eine Beschränkung der Exit-Polls vorstellen. Diese Fragen sollen bei der nächsten Sitzung der Enquete-Kommission Anfang Mai diskutiert werden. Der Vizepräsident des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ), Rudolf Chmelir, warnte vor jedem Versuch, die freie Berichterstattung einzudämmen. Er könne sich zwar durchaus die Schaffung von Qualitätsstandards für die Veröffentlichung von Umfragen vorstellen, so Chmelir. Dies solle allerdings auf Ebene der Standesvertreter - etwa über den Presserat - und nicht durch den Gesetzgeber geschehen. Kuntzl regte in dieser Frage die Einladung von Medienvertretern an. Über den Antrag soll bei der nächsten Sitzung entschieden werden. (APA)