Hamburg - Schreibhemmung, Sinnfrage, Midlife Crisis: Gestandene Schriftsteller in der Krise sind ein beliebtes, wenn nicht gar strapaziertes Romansujet. Allerdings stehen sie auch stets im Verdacht, dass der Autor dabei sein eigenes Problem zum Thema - und damit möglicherweise den Bock zum Gärtner gemacht hat. Dieser Beigeschmack bleibt auch nach dem streckenweise opulenten Genuss von Leon de Winters jüngstem Werk "Leo Kaplan" zurück, das auf über 500 Seiten die von kreativer Austrocknung bedrohten Seelenlandschaften des fast 40-jährigen Kaplan ausbreitet. Viele Jahre ist es her, seit der Schriftsteller Kaplan seinen letzten Roman veröffentlicht hat. Seitdem klammert er sich an den Erfolg vergangener Tage, schreibt auf der Suche nach neuen Themen mit wachsender Verzweiflung Notizbücher voll. Zugleich versucht er, seine Schreibblockade mit Liebeseskapaden zu kompensieren, die seine Ehe schließlich in den Abgrund treiben. Hoffnung flackert auf, als er seiner großen Jugendliebe Ellen nach fast 20 Jahren wieder begegnet und ein Neuanfang an der Stelle möglich scheint, an der einst Grundlegendes zerbrach. Doch weder Kaplan noch Ellen, mit der ihn in frühen Studienzeiten eine schier bedingungslose gegenseitige Liebe verband, können über die Klippe eines großen Missverständnisses und einer Enttäuschung springen, die sie sich damals gegenseitig zufügten: Ellen behält ihr Geheimnis, dass ihr Sohn Maurits von Kaplan stammt, auch bei dem Wiedersehen nach 20 Jahren für sich - zu tief ging ihr damals der Schmerz, als Leo sich zeitweise von ihr abwandte, und zu fest hat sie sich mit dieser Vaterlüge in ihrem Dasein als Diplomatenfrau eingemauert. Amsterdam, Kairo, Rom sind einige der Schauplätze, die dieses Kaleidoskop der ruhelosen Suche nach dem Wesentlichen zeigt. Immer wieder neu schillernde Aspekte der Entfremdung von sich selbst, des Betäubens statt Erlebens treten dabei zu Tage. Wie ein radikales Alter Ego Kaplans erscheint da beispielsweise dessen Freund Rudy, der seiner saturierten Ehe nach drei Tagen Bekanntschaft mit einer jungen Italienerin entflieht, von dieser aber prompt wieder verlassen wird und schließlich Selbstmord begeht. Schon bekannt Viel von dem, was De Winter in "Leo Kaplan" präsentiert, dürfte der großen Lesergemeinde des Niederländers durchaus bekannt vorkommen. Nicht nur die Tatsache, dass das letzte Buch Kaplans den Titel "Hoffmanns Hunger" trägt - genau wie der erste große Publikumserfolg De Winters selbst. Auch das immer wieder variierte Thema der Herkunft aus niederländisch-jüdischem Elternhaus, das einer stahlharten Umklammerung gleicht, und der Vater-Sohn-Konflikt finden hier erneut ihren Platz. De Winter greift dabei teilweise auf erzählerische Mittel zurück, die an das Durchstöbern eines Zettelkastens erinnern. So werden willkürlich erscheinende Nebenstränge eingeführt, fantasievolle, aber für den Handlungsverlauf völlig überflüssige Schnurren am Rande erzählt. Bewusstes Stilmittel oder Angst davor, dass die eigentlich zu erzählende Geschichte zu dünn ausfällt? Vor letzterem bräuchte der Erfolgsautor eigentlich keine Angst zu haben. Denn in den Passagen, in denen er stringent die dramatisch abwärts trudelnde Liebesgeschichte verfolgt, schreibt er so fesselnd und pointiert, wie in "SuperTex", "Serenade" oder eben - "Hoffmanns Hunger". Leon de Winter: "Leo Kaplan", Diogenes Zürich, 542 Seiten (APA)