Linz - Der Ausbildungsweg eines Balletttänzers ist relativ leicht nachvollziehbar. Von Kind auf wird man in den strengen Regelkodex des klassisch-akademischen Tanzes eingeführt und während der durchschnittlich acht Jahre dauernden Schulung sachte auf die Bühne vorbereitet. In Österreich gibt es dafür die Ballettschule der Wiener Staatsoper oder die Ballettabteilungen der Konservatorien.

Anders im zeitgenössischen Tanz: Dessen Akteure haben sich oft erst im vorgerückten Jugendalter für ihren Beruf entschieden. An sich ist das im modernen beziehungsweise zeitgenössischen Tanz kein Problem. Obwohl auch hier die technischen Anforderungen mitunter sehr hoch sind, steht doch die persönliche Kreativität im Mittelpunkt. Eine fundierte Ausbildung ist Voraussetzung. Diese war in Österreich trotz eines überbordenden temporären Workshop- oder Seminarangebots lange Zeit ein Desaster. Um das festzustellen, genügt ein Blick in die Biografien österreichischer Tänzer/Choreographen der seit den 80er-Jahren florierenden heimischen freien Szene.

In Ermangelung eines adäquaten Instituts für zeitgenössischen Tanz ging man ins Ausland, absolvierte sein Studium in den USA, in Großbritannien, in Frankreich oder den Niederlanden. Manche der künstlerisch Ambitionierten machten den Umweg über die Ausbildung zum Tanzpädagogen, wie sie etwa von der Abteilung "Tänzerische Bewegungserziehung" am Konservatorium der Stadt Wien angeboten wird.

Einen richtungsweisenden Pfad hat das Brucknerkonservatorium des Landes Oberösterreich in Linz eingeschlagen. 1993 beauftragte der damalige Direktor Hans Maria Kneihs die in Wien lebende gebürtige Britin Esther Linley mit der Neustrukturierung der Tanzabteilung, die heute unter der Bezeichnung "Zeitgenössischer Tanz & Tanzpädagogik" überregionale Bedeutung erlangt hat. Esther Linley, eine Absolventin der Royal Ballet School in London, kann auf eine erfolgreiche Bühnenlaufbahn zurückgreifen. Bevor sie 1982 gemeinsam mit Liz King, Harmen Tromp und Manfred Biskup das "Tanztheater Wien" gründete, war sie als Tänzerin unter anderem in Amsterdam und Basel engagiert. Sie kennt die etablierte wie die freie Szene. Obwohl man das Brucknerkonservatorium nach vier Jahren mit einem Diplom als Tanzpädagoge verlassen kann, liegt der Schwerpunkt auf der umfassenden künstlerischen Ausbildung für zeitgenössischen Bühnentanz.

Das mit Tanzpädagogik erklärt sich für Esther Linley so: "In Österreich dominiert die Einstellung, dass Tanzen kein ordentlicher Beruf sei. Also muss man mindestens ein pädagogisches Zertifikat haben. Außerdem ist eine didaktische Schulung für einen zeitgenössischen Tänzer nur von Nutzen. Unterrichten sichert ja oft die Existenz." Jene Studenten, die ausreichende Begabung für den Bühnentanz mitbringen, erfahren große Unterstützung seitens der Leitung. Wer an Sonderprojekten arbeitet, darf die Probesäle sogar bis Mitternacht nützen.

Für alle Studenten sind tägliche tanztechnische Klassen obligat. Unterrichtet wird mindestens fünfmal pro Woche klassischer Tanz, dazu kommen Modern Dance nach Martha Graham und José Limon sowie Post Modern Dance, Improvisation und ethnische Tänze. Neben einem fixen Lehrerstamm lädt man für Sonderprojekte Gastdozenten und Choreographen ein. Daneben gibt es sämtliche Theoriefächer wie Didaktik, Tanz-und Musikgeschichte.

Immer mehr Nachwuchschoreographen kommen vom Brucknerkonservatorium. Am Lehrplan findet man das Fach "Choreographie" als solches jedoch nicht. Dazu Esther Linley: "Wie wollen keine Epigonen erziehen und sagen, so und so hat man zu choreographieren. Aber innerhalb der einzelnen Fächer wie in Formenlehre oder Improvisation wird kreatives Arbeiten sehr wohl geschult. Die Lehrer betreuen Projekte und unterstützen die individuelle Leistung. Die Gestaltung kleiner Stücke gehört vom ersten Jahrgang an zur Ausbildung."

Das Linzer Institut hat sich schnell einen guten Ruf gemacht. Von Jahr zu Jahr steigt die Bewerberzahl. Zurzeit zählt man insgesamt 35 Studenten. Sie kommen aus ganz Österreich, aus Deutschland, Polen, Kroatien und Slowenien. Das überregionale Interesse lässt sich auf die Praxisnähe zurückführen. Mit der Projektreihe easy pieces treten die Studenten im Sinne einer professionellen Company immer wieder öffentlich auf. Zuletzt kreierte die Choreographin Catherine Guérin Multibli(Cities) für die Linzer. Mit Stücken von Editta Braun gastiert man im Frühjahr in Polen und für das Musikfestival 4020 Linz bereiten die Absolventen Ulli Hager, Andreya Kumpar und Hannes Donnabauer Uraufführungen vor.

Ab September wird das Brucknerkonservatorium eine "Post Graduate Company" beherbergen. Esther Linley schwebt eine Repertoire-Company vor, bei der angehende Tänzer zirka zwei Jahre lang erste professionelle Erfahrungen sammeln können. Vorbilder dazu sind Transitions, die Company des Laban Center in London, und die Jugendtruppe des Nederlands Dans Theater (NDT 2).(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1. 3. 2001)