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San Salvador - Der siebenjährige Daniel aus Jayaque in der Balsam-Kordillere wurde bei dem ersten schweren Beben im Januar zur Halbwaise. Seither hat er Albträume und klammert sich nachts verschreckt an seinen Vater. Depressionen gehören nach Atemwegserkrankungen und Darminfektionen mittlerweile zu den häufigsten Krankheiten in El Salvador. Zehntausende haben nicht nur ihre Angehörigen und ihr Haus verloren, sondern auch ihre Felder, ihre Werkstätten, ihren Arbeitsplatz. "Das zusammen mit den vielen Nachbeben ist psychologisch schwer zu verkraften", sagt Roberto Rubio von der Stiftung für Regionalentwick-lung; und wiegt langfristig möglicherweise gleich schwer wie die Infrastrukturschäden, die von der Regierung auf umgerechnet 17,6 Milliarden Schilling (1,3 Milliarden Euro) veranschlagt werden - die Hälfte des Staatshaushalts für 2001. Schon vor den beiden verheerenden Beben vom 13. Januar und 13. Februar fehlten in El Salvador 150.000 Wohnungen - mittlerweile sind es mehr als 200.000. Tausende Schulen, Rathäuser, Spitäler, Wasser- und Stromleitungen wurden schwer beschädigt. Die Ernte des Hauptexportprodukts Kaffee wird nach Einschätzung der Produzenten um 30 bis 50 Prozent zurückgehen, nachdem 350 Hektar Plantagen verschüttet und gut die Hälfte der Aufbereitungsanlagen zerstört wurden. Die UN-Wirtschafskommission Cepal vermutet zudem, dass die versprochene Auslandshilfe bei weitem nicht ausreichen wird, und dass El Salvador ausländische Kredite aufnehmen muss. Ökonomieexperten schätzen die wirtschaftlichen Einbußen auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Problem Kriminalität Die Naturkatastrophe hat das Land auch politisch und sozial zerrüttet. Der Ökonom Rubio befürchtet, dass Hunderttausende Obdach- und Arbeitslose nun in die Hauptstadt drängen. Dort gibt es aber weder menschenwürdige Behausungen noch vernünftige Arbeit, dafür gewalttätige Jugendbanden und Drogenringe. "In diesen Tagen haben die Entführungen und die Banküberfälle deutlich zugenommen", konstatiert der Journalist Jorge Dalton. "Das soziale Erdbeben kommt erst." "Dies wäre eigentlich eine gute Gelegenheit, die bisherige Politik zu korrigieren", meint Rubio. So sind das die Natur verachtende Wirtschaftssystem und die von Korruption und Schlamperei geprägte Bauwirtschaft zwei Faktoren, die Umweltschützern zufolge das Ausmaß der Katastrophe verschlimmert haben und dringend Veränderung brauchen. Bankrotte Bauern Rubio fordert zudem eine Zinssenkung, damit die Bebenopfer Kredite zum Bau neuer Häuser aufnehmen können sowie eine aktive Agrarpolitik. Die bedingungslose Öffnung El Salvadors - des kleinsten der zentralamerikanischen Länder - in den vergangenen Jahren hat die heimischen Bauern in den Bankrott oder in die ausschließliche Eigenbedarfswirtschaft getrieben, während in den Supermärkten billiges Obst und Gemüse aus Honduras oder Guatemala verkauft wurde. Um eine erfolgreich gegliederte Wirtschaftspolitik zu betreiben, ist laut Rubio dringend eine Steuerreform nötig. Die in der Regierungspartei Arena vereinte wirtschaftliche und politische Elite hat bisher jedoch wenig Einsehen gezeigt. Die von der ehemaligen Guerilla gebildete Oppositionspartei FMLN wurde kurzerhand von den Wiederaufbauplänen ausgeschlossen, die gegen Missstände demonstrierenden Erdbebenopfer werden von der Polizei mit Knüppeln und Tränengas auseinander getrieben. Doch Rubio hofft, dass der große Einfluss der ausländischen Hilfsorganisationen und vor allem der Druck der Bevölkerung doch noch eine Kursänderung bewirken. (DER STANDARD Print-Ausgabe vom 3./4.3.2001)