Kandahar/Wien - Etwa zweihundert Hindus, die in Neu Delhi gegen den Bildersturm der Taliban in Afghanistan protestierten, fiel nichts Besseres ein, als auf ihrer Kundgebung eine Kopie des Korans, der islamischen Offenbarung, zu verbrennen. Sancta Simplicitas. Gottesbilder, Gotteshäuser, in späterer Zeit Bücher der jeweils "anderen" sind seit Menschengedenken beliebte Objekte von Zorn und Dummheit. Es wechseln nur Ort, Zeit und Namen. Wer die Denkstrukturen kennt, die Obskurantisten wie die Taliban in Afghanistan charakterisieren, hegt fast keinen Zweifel, dass sie es "ehrlich" meinen: Mit der Zerstörung alles "Unislamischen" wird dem Islam ein Gefallen erwiesen. Und die im Mittelpunkt der Zerstörungswut stehenden Statuen von Bamiyan sind nicht nur unislamisch buddhistisch, sie sind auch unislamisch figurativ. Dazu erfreuen sie die Menschen auch aus rein ästhetischen Aspekten: ein Grund mehr, sie zu beseitigen. Denn aus dem problematischen Verhältnis, das der islamische Prophet Muhammad zu vielen Kunstgattungen - unter anderem auch zur Musik und zur Dichtkunst - hatte, kann, was so ein rechter Fundamentalist ist, die Unerwünschtheit aller schöngeistigen menschlichen Zerstreuungen ablesen. Weg damit. Unesco-Botschafter Pierre Lafrance, der als Feuerwehr nach Kandahar geschickt wurde, musste unverrichteter Dinge wieder abreisen. Keine Augenzeugen Zorn und Dummheit, darauf trifft dann aber auch noch manchmal ein gerüttelt Maß an Kalkül. An diese Möglichkeit knüpfen sich die weltweiten Hoffnungen an einen phänomenalen Bluff der Taliban-Führung: Tatsächlich gibt es keine unabhängigen Augenzeugen für das, was in Bamiyan und anderswo, wo bereits viele kleinere Objekte zerstört worden sein sollen, geschieht. Dass die Taliban keinerlei Bedenken haben, mit dem afghanischen Kulturerbe ihren Krieg zu finanzieren, ist allgemein bekannt. Ob sie es im Moment notwendig haben, sich die Buddhas von Bamiyan "abkaufen" zu lassen - aus vielen, auch islamischen Ländern, liegen Angebote vor -, ist nicht ganz klar. Über den Zustand ihrer Haupteinnahmequelle, Rauschgift, gibt es nämlich widersprüchliche Meldungen. Einerseits heißt es, dass die jahrelange Trockenheit in der Region die Opiumanbaugebiete schwer in Mitleidenschaft gezogen hat. Andererseits behaupten Beobachter, die Taliban verfügen über volle Rauschgiftlager und hätten deshalb die Produktion eingeschränkt, um sich nicht selbst den Preis kaputtzumachen. Dass gerade der exemplarische Buhmann der westlichen Welt, Iran, die Hauptbürde bei der Eindämmung der afghanischen Drogenflut trägt - weitgehend unbedankt, versteht sich -, gehört zu den Absurditäten der internationalen Politik. Pakistan, das seine Finger in allen schmutzigen Geschäften hat, die es in der Region nur gibt, ist hingegen noch immer ein spezieller Verbündeter der USA. Angst der Russen Nicht nur für ein Bollwerk gegen die Drogen, sondern auch gegen den Islamismus in der Region interessieren sich hingegen die Russen, die in Tadschikistan gemeinsam mit der Wiener UNO-Drogenbehörde UNDCP eine paramilitärische Truppe aufbauen, die angeblich nur der Drogenbekämpfung dienen soll. Wer’s glaubt - offensichtlich UNDCP-Chef Pino Arlacchi -, wird selig. Wiederbelebt wurde dabei übrigens auch die alte russisch-indische Kooperation: Noch ein Grund mehr für die Amerikaner, zu den Pakistanis zu halten. Aber zurück zum Kalkül: Im Fall der Nichtzerstörung wäre es also die Absicht der Taliban, ihre Kriegskassen zu füllen - und zwar paradoxerweise trotz der UNO- Sanktionen vor den Augen und mit einem erleichterten Aufatmen der ganzen Welt. Die Taliban könnten für die Buddha-Statuen heute fast alles verlangen, sie würden es bekommen. Falls die angekündigte Zerstörung ausgeführt wird oder wurde, ist sie ein Akt der Verachtung und Unbeugsamkeit gegenüber der internationalen Gemeinschaft: Ihr habt uns mit Sanktionen belegt, aber beeinflussen, was wir bei uns zu Hause machen, könnt ihr nicht; wir machen kaputt, was angeblich der ganzen Welt gehört. Natürlich ist das in Wirklichkeit ein Vorgehen jemandes, der im Eck steht: Es ist das Abbrechen aller Brücken, zur Vergangenheit, aber auch zur Zukunft. Man kann es Kalkül nennen, aber auch Verzweiflung. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.3.2001)