Die Briten haben den Anfang gemacht: Seit gut zwei Jahren bringen Fernsehsender wie TV Travel Shop und Travel Channel Reiseangebote in bewegten Bildern in die Wohnzimmer. In Deutschland steht der Durchbruch für Reise-TV noch bevor. Binnen eines Jahres werden im größten europäischen Reisemarkt aber wohl gleich drei oder vier Sender nonstop rund um die Uhr Reisen anbieten. Nach dem Einstieg ins Internet vor einem Jahr eröffnet sich die Touristikbranche bereits einen zweiten neuen Vertriebskanal. Das neue Zauberwort der diesjährigen Internationalen Tourismus-Börse (ITB) in Berlin heißt "Multi-Channel", Vertrieb über mehrere Kanäle: Reisebüro, Internet, Fernsehen mit Call-Center oder später auch interaktiv und direkt per Fernbedienung. Internet wird die Branche revolutionieren Vor einem Jahr stürzte sich die Reisebranche zur ITB auf E- Commerce und Internet. Und mancher sagte voreilig die Reisebüros tot. "Dieser Hype (Aufregung) ist jetzt vorbei", sagt Dieter Zümpel, Geschäftsführer bei TUI, Tochter des weltweit größten Reisekonzerns Preussag. Das Internet werde die Reisebranche revolutionieren, aber eben nur im Mix mit alten und neuen Formen des Vertriebs. Nach der europaweiten Fusionswelle in der Reisebranche geht es jetzt darum, zu wachsen. "Der Kampf um die Kunden ist voll entbrannt", sagt Zümpel. "Wir müssen dem Kunden 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, überall dort ein Angebot machen, wo er es wünscht." Dies gehe nur mit einer Mehrkanalstrategie. Kunden müssen so früh wie möglich angesprochen werden Den Reisekonzernen geht es vor allem darum, neue Kunden zu gewinnen. Die Tatsache, dass inzwischen die Hälfte aller Reisen bei einem Reiseveranstalter gebucht werden, sehen die Reisemacher anders herum: "50 Prozent organisieren ihre Reisen noch selbst. Das ist ein riesiges Potenzial", sagt Peter Pullem, Vertriebschef bei Europas zweitgrößtem Reisekonzern C&N, der Touristik-Tochter von Lufthansa und Karstadt. "Ich muss den Kunden so früh wie möglich ansprechen, am besten schon zu Hause auf der Couch." Und das Fernsehen sei eben ein bekanntes, praktisch flächendeckend verbreitetes Medium. Fernehen wird für die Branche wichtiger als das Internet C&N-Vorstandschef Stefan Pichler verkündete auf der ITB die Kooperation mit dem Münchener Sender tm3, wo auch die Rewe Touristik-Gruppe Reisen anbieten will. Pichler ist ebenso wie Rewe-Chef Hans Reischl davon überzeugt, "dass das Fernsehen für die Reisebranche bedeutender wird als das Internet." Seit Januar bietet tm3 mit einer täglich 75-minütigen Sendung Reisen an, für Anfang 2002 plant der neue tm3-Eigner H.O.T Networks AG dann einen reinen Reisesender. C&N ließ zuvor den TV-Verkauf beim ersten deutschen Reisesender Via1 testen. Von den bescheidenen "mehreren hundert Buchungen" in den ersten vier Wochen mag man sich nicht beirren lassen. Dies sei mehr als man am Anfang habe erwarten können. Aber auch Pichler sagt: "Nur der Mix macht's." Via1-Geschäftsführer Gunther Holzschuh schreibt nach einem Jahr noch rote Zahlen. "Aber wir liegen im Hinblick auf unsere Pläne bereits besser als geplant", sagt er. Bisher sendet Via1 überwiegend digital an 2,9 Millionen Haushalte. Die Reichweite soll ausgebaut werden, möglicherweise mit dem Privatsender RTL, der kürzlich ebenfalls Reise-TV-Pläne offenbarte. Keiner der Sender sendet exklusiv für nur einen Veranstalter. Das gilt auch für den deutschen Ableger von TV Travel Shop, der bereits im Juni in Hannover via Astra-Satellit startet. Dies ist der einzige Touristikkanal, an dem sich mit TUI (25 Prozent) ein Reiseveranstalter finanziell beteiligt. Binnen spätestens drei Jahren will TV Travel Shop-Geschäftsführer Rainer Ortlepp schwarze Zahlen schreiben. TUI-Manager Zümpel warnt nach der übertriebenen Internet-Prognosen vor einer ähnlichen Reise-TV-Euphorie: Die Mehrheit der Reisen werde auch künftig im Reisebüro gebucht. Internet, TV und andere Direktkanäle könnten mittelfristig zusammen auf etwa 30 Prozent des Umsatzes kommen, schätzt er. (Reuters)