Paris - Eine Nudisten-Wiese im "Jardin du Luxembourg", dem bekanntesten Pariser Stadtpark: Dieser Vorschlag einer Wahlliste von Striptease-Tänzerinnen und Transsexuellen ist einer der originelleren im Wahlkampf um die französische Hauptstadt. Um inhaltliche Fragen geht es aber mitnichten. Niemand hörte genau hin, als die beiden Hauptkandidaten bei einem TV-Duell kürzlich über Straßenbahnprojekte, Sozialwohnungen und das Hundedreck-Problem debattierten.

Bis die Rede auf die "Affären" kam. Seit '77 herrsche in Paris ein System von fiktiven Jobs und falschen Wählern, attackierte der Sozialist Bertrand Delanoë in Anspielung auf das Jahr, als der aktuelle Staatspräsident Jacques Chirac Bürgermeister geworden war. Seine Liste sei "sauber", konterte der Gaullist Philippe Séguin; gegen einen sozialistischen Kandidaten werde hingegen strafrechtlich ermittelt.

Das war nur der Anfang eines halbstündigen Schlagabtauschs, in dem Séguin immer mehr in die Defensive geriet. Das 57-jährige Schwergewicht, das aus Lothringen eingeflogen wurde, um die gaullistische Hochburg Paris zu retten, distanziert sich zwar von dem Sprengkandidaten Jean Tiberi, der wegen zahlloser Politskandale keine Wahlchancen hat. Doch im zweiten Wahlgang ist Séguin auf die Stimmen des Parias angewiesen, wenn er verhindern will, dass die Linke die Hauptstadt erstmals seit der Pariser Kommune 1871 erobert.

Unsaubere Praktiken

Ein Scherbenhaufen wäre das nicht nur für das gaullistische RPR, sondern vor allem für Parteigründer Jacques Chirac. 24 Jahre lang hatte er Paris regiert, und in den Wahlen meist in allen 20 Stadtbezirken gesiegt. 1995, als er aus dem "Hôtel de Ville" in den Elysée-Palast umzog, gewann die Linke erstmals sechs Arrondissements. Damals kamen auch Gerüchte über unsaubere Praktiken im Pariser "RPR-Staat" auf. Der neue Bürgermeister Tiberi, von Chirac unüberlegt zu seinem Nachfolger bestimmt, ist seither Symbol von Korruption, Filz und Wahlschiebungen.

Der Sozialist Delanoë macht zwar eine blasse Figur; nicht einmal der Umstand, dass er zu seiner Homosexualität steht - was Paris zur ersten "rosa" regierten Hauptstadt Europas machen würde -, bringt ihn in die Schlagzeilen. Doch Séguin bietet als Gaullist zu wenige Garantien für einen Neuanfang, als dass er bei den politisch ungebundenen Wählern glaubhaft wäre. Eine RPR-Niederlage in Paris wäre ein böses Omen für Chirac bei den Präsidentschaftswahlen in einem Jahr.

Darüber hinaus könnte Chirac am 18. März auch in Lyon und Toulouse als Verlierer dastehen - den zwei einzigen Großstädten, welche neben Paris die Farbe wechseln könnten; Marseille dürfte hingegen rechts, Lille links regiert bleiben. In Toulouse, einer Bastion der Bürgerlichen, schien der UDF-Liberale Philippe Douste-Blazy leichtes Spiel zu haben; heute sieht sich der enge Chirac-Vertraute aber plötzlich von der Linken in den Umfragen überflügelt.

In Lyon ist Chirac bei dem Versuch gescheitert, die wilde Kandidatur des Rechtsaußen Charles Millon zu verhindern, sodass der offizielle UDF-Kandidat Michel Mercier gegen den sozialistischen Herausforderer Gérard Collomb verlieren könnte. Verliert die Rechte Lyon und Toulouse, wird UDF-Präsident Fran¸cois Bayrou nicht zögern, dafür Chirac verantwortlich zu machen - und seine eigene Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen anzukündigen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.3.2001)