Baku - Die mehrstöckige Mietskaserne am Stadtrand von Baku war ein Rohbau, als die Flüchtlingsfamilien sie bezogen, ohne Türen, Fußböden oder gar Verputz - in den acht Jahren, in denen sie darin wohnen, hat sich daran nichts geändert. Betreten stehen die Delegierten der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) herum und schauen hinter Vorhänge in die durch dünne Wände abgetrennten Löcher, wo die Menschen leben.

Leise geäußerte Zweifel, ob man in einem Land, in dem am Flughafen ein Mercedes 600 hinter dem anderem geparkt steht, an dem Elend nicht etwas ändern könnte, werden zurückgewiesen: Es seien einfach zu viele, auch für einen - besonders im Vergleich mit den anderen südkaukasischen Ländern - (öl)reichen Staat wie Aserbaidschan. Etwa 500.000 Aseris sind während des von Armenien für sich entschiedenen Kriegs geflüchtet, die meisten stammen nicht aus der armenischen Enklave Berg-Karabach, sondern aus den anderen von Armenien besetzten Gebieten an der Grenze.

Hier kann man verifizieren, ob das offizielle Kriegsgeschrei für den Fall, dass es nicht bald eine politische Einigung mit Armenien gibt, auch in der Bevölkerung Rückhalt hat. Ja, sie würde sofort ihre Söhne in den Krieg schicken, sagt eine Flüchtlingsfrau, deren Bruder in Karabach gefallen ist. Der Besuch des Kriegerfriedhofs gehört zu jedem offiziellen Besuchsprogramm in Baku - übrigens auch für Russlands Präsident Wladimir Putin im Jänner, den dort mancher stille Fluch getroffen haben wird. Ohne russische Hilfe hätten die Armenier den Krieg nie gewonnen, ist man sich einig.

Auch den Beschluss des französischen Parlaments, die Vorfälle im Osmanischen Reich im Jahr 1916 als "Genozid" an den Armeniern zu bezeichnen, nimmt man in Baku durchaus persönlich: Die Welt hält eben zu den Armeniern.

Kaum erstaunlich, dass die Kriegsbegeisterung auf den geschäftigen Straßen in den Geschäftsvierteln der aserbaidschanischen Hauptstadt, wo die Menschen etwas zu verlieren haben, schon weniger groß ist. Aus Paris, wo zu Wochenbeginn der armenische und der aserbaidschanische Präsident, Robert Kotscharian und Heydar Aliyew, verhandelten, gab es am Dienstag immerhin die gute Nachricht, dass Vermittler Jacques Chirac auf eine "gerechte und annehmbare" Lösung des Karabach-Konflikts bis zum Jahresende hofft. Das klingt zwar nicht direkt nach Durchbruch, aber offensichtlich haben die beiden Kontrahenten die angeblich neuen französischen Vorschläge auch nicht glatt abgelehnt.

"Kapitulation"

Aliyew, mit seinen 78 Jahren ein postsowjetisches Fossil, ist schwer einzuschätzen: Im Jahr 2003 gibt es Präsidentschaftswahlen, und ohne Zweifel würde er als Vermächtnis lieber Frieden hinterlassen, aber ohne "Kapitulation" - ein oft gehörtes Wort, auch im Gespräch mit der aserbaidschanischen Opposition. Der derzeitige OSZE-Vorsitzende, der rumänische Außenminister Mircea Dan Geoana, äußert Betroffenheit, dass die Vertreter der Parteien so gar kein Anliegen zu haben scheinen, außer den "Aggressor" Armenien anzuklagen. Als Geoana darauf pocht, dass Krieg keine Lösung sei, erntet er empörtes Gelächter. Die der OSZE so wichtig erscheinende Demokratisierung ist Nebensache in Aserbaidschan, auch die Journalistenfragen in einer Pressekonferenz triefen geradezu von Ideologie.

Aliyew spielt die Partie innenpolitisch geschickt - deutscht seinem Volk die Lage aus und schiebt gleichzeitig die Verantwortung ab: Aus der Parlamentsdebatte nach der Veröffentlichung des Berg-Karabach-Plans der OSZE von 1998, der einen Aufschrei der Empörung in Aserbaidschan hervorrief, sei klar hervorgegangen, dass die Volksvertreter - und damit das Volk - den Krieg mit Armenien wollen, um die besetzten Gebiete zurückzuerobern, sagt er. Die Geduld sei zu Ende, der Waffenstillstand von 1994 neige sich dem Ende zu. Er, als aserbaischanisches Staatsoberhaupt, erkläre aber, dass es noch immer Möglichkeiten für eine friedliche Lösung gebe. (DER STANDARD, Print-Ausgabe,