Gesundheitspolitik
Gesundheitspolitik ein Fall für die Notaufnahme? - Von Ernst Wolner
Seitdem bekannt wurde, dass den Krankenkassen zu einer ausgeglichenen Bilanz fünf Milliarden Schilling fehlen, kommt die
Gesundheitspolitik nicht zur Ruhe. Fordern die einen eine Wertschöpfungsabgabe und eine Anhebung der
Höchstbemessungsgrundlage, so glauben die anderen, durch Ausschöpfung des angeblich so hohen Sparpotenzials das
Auslangen zu finden.
Der Präsident der Wirtschaftskammer plädiert dafür, dass in Zukunft nur Manager die Kassen verwalten sollten - als hätte er
nicht schon bisher das Vorschlagsrecht für diese Positionen gehabt -, und der Minister für soziale Sicherheit und
Generationen fordert den Kopf des Präsidenten des Hauptverbandes, in der Hoffnung, dass dieser das Defizit "mitnimmt", und
die Konzepte der Opposition sind auch nicht sehr hilfreich. Dazu kommen noch die selbst ernannten Gesundheitsökonomen,
die riesige Einsparungspotenziale sehen, letztlich aber nur Leistungskürzungen vorschlagen.
Frivole Diskussion
Die ganze Diskussion ist deswegen so frivol, weil das österreichische Gesundheitswesen im Hinblick auf seine hohe Qualität,
sofern man der OECD glauben darf, zu einem der preiswertesten in Europa zählt. In Relation zum Bruttonationalprodukt ist
etwa das schweizerische System um zehn Prozent und das deutsche gar um zwanzig Prozent teurer als das
österreichische.
Tatsächlich wird sich niemand Vernünftiger sinnvollen Einsparungen verschließen, wobei zunächst festzuhalten ist, dass
gerade im Spitalsbereich in den vergangenen Jahren mehr als in allen anderen Bereichen der staatlichen Verwaltung durch
Deckelung und Budgetrestriktionen gespart wurde. Will man jedoch weiter die Kosten für das Gesundheitswesen reduzieren
und verhindern, dass das gesamte System wie in England kaputtgespart wird, so sind jetzt strukturelle Maßnahmen zu
setzen, über die bisher noch kaum diskutiert wurde.
Wenn vonseiten der Regierung nun Rationalisierungen im "roten" Hauptverband wie die Zusammenlegung der verschiedenen
Krankenkassen gefordert werden, so sollte die Hoheitsverwaltung mit gutem Beispiel vorangehen: In Österreich haben wir ein
einflussloses Gesundheitsministerium und neun mächtige Gesundheitsreferenten der Länder, mit den entsprechenden
Verwaltungseinrichtungen, welche zum Teil sehr unkoordiniert, vor allem im Spitalsbereich, tätig sind.
Wir haben zum Beispiel im ländlichen Bereich innerhalb einer Distanz von zehn Kilometern zwei Schwerpunktkrankenhäuser
errichtet, obwohl eines genügt hätte, nur weil eine Landesgrenze dazwischen liegt. Dass darüber hinaus viele dieser
Krankenhäuser Spielwiesen der Regionalpolitik sind, ist seit vielen Jahren bekannt. Es ist nur nicht einzusehen, dass die
dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten in Milliardenhöhe von der Allgemeinheit getragen werden sollen.
Bayern, doppelt so groß wie Österreich, hat nur ein Gesundheitsministerium. Wir haben de facto zehn derartige
Einrichtungen, und es wäre höchste Zeit, ein starkes, mit wirklichen Weisungskompetenzen ausgestattetes
Gesundheitsministerium zu schaffen, was sicher massive Einsparungsmöglichkeiten in der Verwaltung mit sich brächte.
Darüber hinaus müsste die duale Finanzierung des österreichischen Gesundheitswesens beendet werden. In Österreich
werden die niedergelassenen Ärzte und die Apotheken bevorzugt von den Krankenkassen, die Spitäler bevorzugt von der
öffentlichen Hand, das heißt Bund, Länder und Gemeinden finanziert. Die öffentliche Hand hat das primäre Interesse, die
Leistungen aus den Spitälern zu den niedergelassenen Ärzten zu verlagern, während die Krankenkasse, auch wenn sie es
nicht zugibt, natürlich interessiert ist, dass möglichst viele Leistungen im Spital erbracht werden, und damit ihr Budget bei der
Finanzierung der niedergelassenen Ärzte entlastet wird.
Totsparen . . .
Auch wäre es höchste Zeit, auf eine echte leistungsbezogene Finanzierung überzugehen. Solange ein Hausarzt für einen
Krankenbesuch am Wochenende nur einen Bruchteil dessen erhält, was ein Installateur für die Behebung eines verstopften
Abflussrohres verlangt, werden die Leute ins Spital geschickt und nicht zu Hause behandelt werden.
Im stationären Bereich sind ebenfalls Strukturänderungen angezeigt. Es ist unbestritten, dass in vielen Spitalsambulanzen
Leistungen erbracht werden, die in jeder niedergelassenen Praxis auch erbracht werden könnten. Es wäre also sinnvoll, diese
Spitalsambulanzen räumlich im Spital zu belassen, jedoch organisatorisch auszugliedern. Um personalrechtlichen
Konsequenzen aus dem Weg zu gehen, sollte das dort tätige Personal karenziert und diese dem Spital angegliederten
Ambulanzen wie Kassenpraxen geführt werden. Die Spitäler sollten dann nur Spezialambulanzen für all jene ambulanten
Leistungen offen halten, welche eben in der niedergelassenen Praxis in sinnvoller Weise nicht erbracht werden können.
Damit könnte man sich den Unsinn mit dem dieser Tage eingeführten Behandlungsbeitrag beim Besuch einer
Spitalsambulanz ersparen. Die personelle und räumliche Bindung zum Spital würde auch einen hohen Qualitätsstandard
gewährleisten und die Kosten im Krankenhaus senken. Allerdings müsste dann im Sinne einer Umschichtung der Gelder
mehr Geld für den ambulanten zu Lasten des stationären Bereichs zur Verfügung gestellt werden.
. . . ist keine Lösung
Schließlich bedarf es auch viel radikalerer Maßnahmen als bisher zur Durchsetzung der Vorbeugung: Um eine bessere
Prophylaxe zu erreichen, sind Leistungsanreize zu setzen - etwa Senkung und Erhöhung der Beiträge zur
Krankenversicherung in Abhängigkeit von Gesundenuntersuchungen, die Einführung eines Gesundheitspasses und vieles
andere mehr. Auch wäre eine Abdeckung der Freizeitunfälle durch eine allgemeine Unfallversicherung überlegenswert. Zur
Finanzierung der Behandlung der Freizeitunfälle sind Zuschläge zu besonders gefährlichen Sportgeräten oder Schiliften
anzudenken.
Die Menschen in unserem Land werden bekanntlich immer älter, und die größten Gesundheitskosten fallen im höheren Alter
an. Die Herausforderung der Zukunft wird daher weniger in der Frage liegen, wie man die Kosten einschränkt, sondern wie es
gelingen kann, durch Produktivitätssteigerung den steigenden Anforderungen an das Gesundheitssystem bei möglichst wenig
Kostensteigerung gerecht zu werden.
Dies kann jetzt, wo das System noch halbwegs gesund ist, mit relativ maßvollen Einschnitten erreicht werden. Wenn
allerdings diese Maßnahmen jetzt nicht gesetzt werden, so besteht die Gefahr, dass es dem Gesundheitswesen so wie der
verstaatlichten Industrie geht. Auch bei dieser wusste man vor 25 Jahren sehr wohl, was zu geschehen hätte, man hat es
aber aus politischen Gründen nicht durchgeführt. Heute haben wir praktisch keine verstaatlichte Industrie mehr, und es ist zu
hoffen, dass dies dem öffentlichen Gesundheitswesen nicht auch widerfährt. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 7. 3. 2001)